‚Sanierungsgebiete‘ von Enno Stahl

Sich dem Prenzlauer Berg zuzuwenden, ist ein wunderbares Anliegen. Das Sanierungsgebiet Kollwitzplatz, begrenzt von Tor- und Danziger Straße, Schönhauser und Prenzlauer Allee, ist das wohl seltenst besprochene Wohnquartier überhaupt. Folgerichtig schreibt Enno Stahl über eben diesen Kiez eine große Geschichte: Vier Protagonist*innen, die sich kennen, schätzen – mehr oder weniger –, Pläne schmieden, manche verwerfen, miteinander Kinder kriegen und oft, sehr oft sogar, im sonoren Sound der ZEIT günstiges Bier und gestresst Canapés vertilgen.

Oft wird in bier-, wahlweise champagnerseligen Runden über das Schöne, Wahre und Gute philosophiert. Von Beginn an hat Stahl auf große Sätze Elfenbeintürme gebaut. Leichtfüßig und schöngeistig sitzt Otti beispielsweise auf Seite 21 beim Biere, als er seine politische Kampfschrift versucht historisch einzuordnen: „Den politischen Literaten von damals erging es kaum anders als ihnen heute, verstrickt in einen zähen Kampf, fast gegen jede zeitgeschichtliche Logik […] Nein, sie agierten dagegen und außerhalb des Geltungsbereichs der herrschenden Konvention wie Aussätzige beinahe, immer mit dem Rücken zur Wand, gerade nur so überlebensfähig, auf niedrigstem Niveau, dafür ohne entwürdigende Lohnarbeit.“

Was lernen wir aus den zwei vorangestellten Absätzen? Enno Stahls ‚Sanierungsgebiete‘ sind 584 Seiten, die es eigentlich nicht braucht. Es drängt sich wiederholend der Eindruck auf, nichts Neues und nichts wirklich Gutes zu lesen. Stahls Sprache oszilliert zwischen Mann’scher Selbstverliebtheit und schnoddrigem WhatsApp-Slang. Im Endeffekt bleibt es beim Versuch und der Roman deutlich hinter meinen Erwartungen zurück. Besonders betrübt, dass Stahl seine vier Protagonist*innen durchweg mit Klischees belastet, überfrachtet, verkauft. Ostberliner Jungs wandern nicht zwangsläufig nach Neukölln aus, um sich Wortgefechte mit kleinen Arab-Jungs im Berliner Dialekt zu liefern.

Was lernen wir also aus den drei vorangestellten Absätzen? Romaneröffnungen mit Beschreibungen von heranrückenden Eisenbahnen in schneller Fahrt auf große Bahnhöfe sind kein Garant für große Literatur. Erstens! Zweitens scheint der Autor auch bei der Rückfahrt im ICE nach Düsseldorf noch immer nicht zu wissen, welches Anliegen er verfolgt. 584 Seiten ohne Anliegen sind dünn. Wer sich – drittens – dennoch gerne mit Berlin, seinen Orchideen und den Resultaten verschiedener Stadtumbauprogramme im Allgemeinen oder Speziellen befassen will, stöbert besser in nachfolgender Bücherkiste:

Revolutionäres Leben am Kollwitzplatz und den umliegenden Kiezen wird exzellent verhandelt bei Stern 111. Was Quartiersmanagement auch bedeutet, hat Anke Stelling preisgekrönt erzählt. Zur Stadtgeschichte hat Jens Biskys Großes geschaffen. Berliner Dialekt, und zwar authentisch, gibt es bei Karl Siebrechts Projekt am Stettiner Bahnhof frei Haus. Und wer einen Berlin-Roman sucht, der den Ton trifft, die Stadt versteht und ihren Rhythmus nicht mimt, sondern vorgibt, befindet sich mit Trennungen.Verbrennungen in bester Wannsee-Gesellschaft.

Mein Fazit: Schade!

  • Gelesen im Mai 2020
  • Eine zunächst freudige Empfehlung von Maëlle, die ihren Ziegelstein ebenso enttäuscht ins Bücherregal stellte.

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