‚Die Liebe im Ernstfall‘ von Daniela Krien

Und als sie den Fuß hob, in die Pedale trat und langsam anfuhr der Stadt entgegen, sah sie ihn kommen. Er war tatsächlich noch gekommen. Erwartet hatte sie eine nachträgliche Absage. Er kam tatsächlich, wenn auch zu spät. Also bremste und stoppte sie und stieg ab, nahm Platz auf der Bank den Blick dem Kanal zugewandt. Über die unweit entfernte Brücke fuhr quietschend eine Straßenbahn und auch er nahm Platz. Keine Freude lag in ihren Augen und in seinen noch etwas weniger. Trotz der Erinnerung an die Urlaube am See in der Uckermark, den Sommertagen im Park unterm Apfelbaum nach der Geburt der Kinder. Ihre Eltern hatten ihn anfangs akzeptiert und später verachtet. Seine Eltern konnten mit allen und jedem gut, außer mit ihr und ihren Marotten. Wie konnte sie nur diesen Beruf erlernen und nicht ihren großen Traum erfüllen? Wie sie sich überhaupt hat vieles, nein alles, vorschreiben lassen. Als sie ihn kennenlernte, ihn sah und seine Hände, sie spürte und später immer wieder spüren wollte, war es ihr egal. Sie war ruhig, wie ausgewechselt fröhlich, glücklich. Nie und nimmer kam ihr in den Sinn, sie würden den kommenden Sommer nicht gemeinsam am See in der Uckermark verbringen. Doch als der letzte schöne Herbsttag sich im Abendrot ergießt, „fühlt sie sich der Welt schutzlos ausgeliefert. Im Ernstfall ist sie allein […] Liebe ist kein Gefühl. Liebe ist keine Romantik. Liebe ist eine Tat […] Alles, was sie früher über Liebe geschrieben hat, ist Unsinn“ (S. 144).

Warum sind Romane mit Handlungsort Leipzig melancholisch bis bitter, hart, teilweise schockierend, selten grotesk und zum Ende hin dennoch erbaulich? ‚Silberblick‘ von Bernd Schirmer sei genannt oder ‚Als wir träumten‘ und ‚Die stillen Trabanten‚ von Clemens Meyer. Selbst auf Juli Zehs ‚Adler und Engel‘ passt die Schablone. Ganz ähnlich schreibt Daniela Krien, doch zugleich gefühlvoll anders.

‚Die Liebe im Ernstfall‘ sind 286 Seiten, die vom Leben erzählen. Eine Stadt und fünf Frauen in fünf Kapiteln. Leben, die sich treffen, mehrfach kreuzen, später verschränken. Fünf erfolgreiche Frauen auf der Suche nach Glück, Erfolg, Liebe. Insbesondere die Suche nach Stabilität und Liebe sind Richtschnur in Kriens Roman, der gut gelang und große Freude macht. In moderner, nie gedroschener, dafür sorgfältig gewählter Sprache baut Krien ein Leipzig nach – vielleicht ihre Leipzig –, und füllt es empathisch mit Leben. Fünf Leben, deren Unterschiede mal in Nuancen, mal recht stark stilistisch ihren Niderschlag finden. Ob gewollt oder reiner Zufall: Besonders fasziniert die Ähnlichkeit von Judiths Kapitel mit Christoph Heins ‚Drachenblut / Die fremde Frau‘. Lesen Sie selbst und erfreuen sich an den Mauerseglern im Leipziger Sommer!

  • Gelesen im Januar 2020
  • Vielen Dank, liebe Susann, für deine wunderbare Empfehlung.

5 Antworten auf „‚Die Liebe im Ernstfall‘ von Daniela Krien

  1. Oh lieber Micha, das Buch habe ich auch gelesen und fand es wunderbar. ….denn so ist das Leben und nicht allen ist ein Leben ohne Brüche vorherbestimmt.
    Aber, und das kann man auch aus diesem Buch entnehmen, ist es immer ratsam das Beste daraus zu machen und nicht auf der Strecke zu bleiben.
    Dann hat man am Lebensende zu sagen, „ich hatte ein tolles und interessantes Leben“😘.
    Liebe Grüße von Susann

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