Achtung, Theater! – ‚Im Leben muss alles herrlich sein‘ am Thalia Theater Hamburg

Alles andere als plätschernd ist die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wer kann, verlässt die in Unabhängigkeit entlassenen Staaten. Die Ersparnisse aufgebraucht, die öffentliche Daseinsvorsorge von Korruption zerfleddert, ergreift Lena die Flucht und strandete samt Kind und Mann in Jena. Florida war das Ziel – das Saaletal ist es geworden. Schön, so schön. Lenas Tochter Edi hält es nicht aus. 20 Jahre später, gerade erwachsen, geht sie nach Berlin – Kindchen, nach Berlin musst du – und macht irgendwas mit Medien.

Als Volontärin bei einer Zeitung soll sie nun, kurz vor dem Abschluss ihres Volontariats, über die Ihren schreiben. Wer sind sie? Wie leben sie? Postsowjetische von der Perestroika gezeichnete Zombies, so der O-Ton. Expressive Klischees zusammentragen, die die Menschen in Berlin gerne lesen. Edi sträubt sich, will nicht, muss. Denn die Mutter lädt zum 50. Geburtstag, will feiern, alle um sich haben und Edi findet Gefallen und Interesse an der eigenen Geschichte. In Jena, im Gemeindehaus zwischen Lobeda und Winzerla im engen Tal der schönen Saale.

Im Menschen muss alles herrlich sein, ruft auf der ukrainischen Privatstation die Oberärztin im Chaos Lena hinterher. Hakan Savaş Mican hat sich nun Sasha Marianna Salzmanns Vorlage ‚Im Menschen muss alles herrlich sein‘ zur Hand genommen und im Thalia Theater Hamburg auf die Bühne gebracht. Chaos und Trubel, Hektik, theatrale Zerrissenheit? Fehlanzeige auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin anlässlich des Gastspiels bei den Autor:innentheatertagen. Plätschern, Dahindümpeln, belanglos monochromes Textaufsagen. Mican, der beispielsweise durch seine Berlin Trilogie und insbesondere ‚Berlin Kleistpark‘ für berührende Videoarbeiten bekannt ist, verpasst die Chance, ‚Im Menschen muss alles herrlich sein‘ pointiert mit Tempo raffiniert zu erzählen.

Auch wenn die dramaturgische Bearbeitung von Susanne Meister die Romanvorlage gekonnt verdichtet und die Musik von Masha Kashyna ein großes Lob verdient, dringen die Protagonist:innen der Theateradaption nicht ins Seelenleben des Stückes vor. Besonders bedauerlich ist die schauspielerisch schlechte Performanz von Toini Ruhnke als Edi, was die gute Darbietung von Oda Thormeyer als Lena leider nicht auffangen kann.

Alles in allem bleibt die Frage, wie dieser biederen Arbeit es gelang, eingeladen zu werden zur Klassenfahrt nach Berlin. Denn sowohl schauspielerisch als auch formal bleibt ‚Im Menschen muss alles herrlich sein‘ hinten den Erwartungen zurück. Ein Ensemble, das sich die lieblos dahingestellte Bühne nicht aneignet, den Raum nicht füllt, nicht ausfüllt und blanken Text ohne Spiel rezitiert, wurde entweder durch magere Regieführung im Potenzial beschnitten oder bringt schlicht das Niveau auf die Bühne, was das Hamburger Publikum für gut, sehenswert, möglicherweise sogar als progressiv erachtet. Immerhin für diese Einsicht war der Abend kein völliger Rohrkrepierer.

  • Gesehen am 3. Mai 2023
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

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