Achtung, Theater! – ‚Franziska Linkerhand‘ im Deutschen Theater

Zwei Tage, drei Tage erschienen wie Jahre. Jahre später, als Franziska Linkerhand in Neustadt Planquadrate straffiert. Mitten im Moder der Provinz hält der Fortschritt Einzug. Linkerhand wollte nach Neustadt und die neue Stadt für den neuen Menschen mitgestalten. Sie, jung, will gestalten statt verwalten. Das Verwalten von Mangel an Allem liegt ihr nicht. Nicht, weil sie nicht will, sondern, weil sie nicht muss. Sie hat tragisches Glück, als Architektin in diesem Quadrat der Republik von Werktätigen platziert zu sein. Um auf weißem Papier Planquadrate zu straffieren.

Schuld eigene? Nicht Schuld, sondern Unschuld und Wille. Der unbedingte Wille ist Franziska Linkerhands Wesens- und Charakterzug. Aus bürgerlichen Verhältnissen geflohen, verstoßen – Wer weiß das schon? –, rennt sie in die Arme eines unwirschen Grobians, den sie dennoch heiratet und von langer, kurzer Hand wieder verlässt. Kurzer Hand findet sich Linkerhand in Neustadt wieder. Hoywoy, Schwarze Pumpe, Hoyerswerdas große, ganz große Neustadt. Linkerhand ist couragiert, ambitioniert, motiviert. Positive -iert treffen auf Franz, wie Freunde sie nennen, ungelogen oft zu. Und das obwohl sie mit Kollegin Gertrud gut und gerne sowjetischen Wodka zur Hand und zur Brust nimmt. Und raucht, weil alle immer und ständig rauchen. Rauch in der Luft. Dampf in der Lunge. Gertrud mit 3,8 im Kessel.

Franziska Linkerhand ist Star des Abends und durch Kathleen Morgenmeyer heldenhaft unsozialistisch gespielt. Dass 3:45 Stunden wie im D-Zug von Neustadt nach HaNeu verfliegen, ist Glück und Handwerk gleichermaßen. Zu Gute kommt, dass Teil 1 vor dem Pausenwein viele Härten erzählt, weshalb Teil 2 leicht zur besseren Hälfte werden kann und wird. Daniela Löffler hat ‚Franziska Linkerhand‚ als Monomentaltheater ohne Klimbim auf die Bühne gebracht, was 30.nach.89 völlig angemessen ist. #November2019NabelschauOst

‚Franziska Linkerhand‘ ist Emanzipationsroman und Hoffnungshymne zugleich. Emanzipation von eben jener alten Zeit, der bürgerlichen, nationalsozialistischen, der kapitalistischen. Und Hoffnungshymne wider dem Chor von Unwirtlichkeit, Tristesse und Aufbauprogrammen im ewigen Provisorium. Als Bruder Wilhelm verkörpert Marcel Kohler Teil 1 ganz sinnbildlich mit Studium und Aufbruch als Atomphysiker nach Moskau. In Teil 2 lädt Maren Eggert als Sekretärin Gertrud zum großen Tanz. Versoffen hat sie abgeschlossen mit dem Leben und der Liebe und jedem Ehrgeiz in der Neustadt. Mittendrin gibt Linkerhand die immer und immer wieder starke Frau. Die anläuft und springt und am Ende das bekommt – manchmal –, was sie will.

Am Ende sind alle Planquadrate straffiert. Die Wände betoniert und gesetzt. Bereit, zum Abriss freigegeben zu werden. Besonders überzeugt Wolfgang Menardis Bühnenbild, das ‚Franziska Linkerhand‘ zum Videoguck- und Flimmerkasten werden lässt. Eine gelungene Arbeit, die manchmal mit Längen gedehnt, vielleicht zu viel erzählen will. Erfreulich ist das Tempo am Ende. Der D-Zug von Hoywoy nach HaNeu nimmt Fahrt auf und zurück. Ein Gewinn für das Stück und gleichermaßen für sein Publikum. Ob es den Versuch eines unvollendeten Endes am Ende bedurfte, steht auf Brigitte Reimanns ungeschriebenem anderen Blatt.

  • Gesehen am 17. November 2019
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s