‚Hund Wolf Schakal‘ von Behzad Karim Khani

Von der Sonne geblendet weiß Jamshid sofort, dass sie es sind. Sie, die nun ihn holen werden. Immerhin mit Achtung gegenüber dem alten Comandante bringen sie ihn in ein trostloses Haus am anderen Ende Teherans. Die hohen Räume, weitläufig, karg, jede Aura von Macht geht hier verloren, denkt Jamshid, der am Scheideweg steht. Seiner Frau folgen, denkt Jamshid. Wahrscheinlich.

„Schweden, die Sowjetunion, Jugoslawien oder Deutschland. Er selbst hatte keine Präferenz. Er rannte vor etwas weg, nicht zu etwas hin.“ (S. 24)

Als die Mauer fällt, wohnen sie noch immer hier in einem dieser Tiefpunkte deutscher Architektur. Mit Taxifahren hat sich Jamshid über Wasser gehalten, während sich seine Söhne Saam und Nima die Straße buchstäblich erobern müssen. Ihr Glück, sie sind smarter als die anderen. Dennoch: Angst. Tagtäglich. Ohne Heydar wäre es noch schlimmer, denkt Saam, der Heydar auf der Schule – Hauptschule – kennenlernt. Und mit ihm Marwal, Jamal und sein ganzes spätes Leben.

„Dass er morgens aufgestanden war als Kind und sich abends schlafen gelegt hatte als Mann […] Mit angeschwollenen Fäusten und gebrochenen Mittelhandknochen, mit denen er nicht zum Arzt ging und die bald schon Ruhm bedeuten würden.“ (S. 105)

Wer ist Hyäne, wer ist Löwe? Saam beschließt, Löwe zu sein, wie seine Freunde Löwen sind auf den Straßen Neuköllns. Arme Jungs, die wenig haben und noch weniger nachdenken über ihr Handeln. Angst, Terror verbreiten sie, während die Schultern breiter werden und ihr Bizeps dicker. Ein Vater, Lehrer im alten Leben, Intellektueller, der seine Jungs längst verloren hat an Kleinkriminelle, Schläger, Zuhälter, die später, als Kokain ihre Kassen füllte, zu kleinen und großen Dealern wurden. In ‚Hund Wolf Schakal‘ erzählt Behzad Karim Khani vom doppeltem Fremdsein in der Fremde. Jungs, die ihre Rolle suchen und Respekt, was immer damit gemeint sei. Im Mittelpunkt brutale Gangs auf 287 Seiten, die Gewalt als Währung haben auf ihrer Suche nach einem Platz, einem guten.

‚Hund Wolf Schakal‘ ist die harte Version von ‚Sonne und Beton‘. Im Duktus der Straße und ihrer Protagonist:innen verfasst, ist dieser vierteilige Roman zuzüglich Prolog und Epilog weniger Gesellschaftsroman als Zustandsbeschreibung. Unverkniffen, klug arrangiert, schockierend, bunt an Zwischentönen. Die Suche nach Anerkennung – mal zärtlich melancholisch, mal als rotziger Rap – vor dem Hintergrund gläserner Decken, durch die man schaut und dennoch nie die Engel oberhalb fliegen sehen wird.

„Die einen hatten Kernseife, und die anderen rochen nach ungewaschenen Haaren. Die Ungewaschenen trugen Jogginghosen, abgetragene Pullover und sahen aus, als würden sie am Hermannplatz auf die U8 warten, und die anderen, als wären sie gekommen, um die Rolltreppe zu reparieren.“ (S. 196)

Mein Fazit: Harter Tobak, der dich mitreißt, wie die volle U8 im Berufsverkehr. Einsteigen, bitte!

  • Gelesen im September 2022
  • Herzlichen Dank für die Empfehlung an meine Buchhändlerin aus der Buchkantine, Dortmunder Straße 1 in Moabit.

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