Was für ein Gefühl, wieder im Deutschen Theater zu sein. Menschen, festlich gekleidet mit Sakko und Jogginghose, zwischen Strasshaarreif und Zigaretten auf der Bühne. Aus dem rechten Portal tritt sie ins Licht, Sophie Rois, Star des Abends und singende Monologistin während ihrer 75-minütigen Fahrt gegen die Wand. Marlen Haushofers Vorlage für diese Fahrt ist der dystopische Roman Die Wand. Ein Roman also, der vom blanken Überleben handelt. Die namenlose Protagonistin befindet sich von Geisterhand hinter einer gläsernen, unsichtbaren Wand, die undurchdringlich ein Innen und Außen markiert. Sie, innen, während die Welt außerhalb erstarrt und tot scheint. Genaueres weiß man nicht, wieß sie nicht. Was ihr bleibt ist eine Kuh und ein Hund und eine Hütte, die ihr Zuhause wird.
Der sparsame Umgang mit dem Originaltext ist bedauerlich, die Zitationen dafür gut gewählt. Als Sophie Rois ihre Bühne, die ihr verbliebene Landschaft, erkundet und beherzt ein übergroßes Stück Torte erklimmt, spricht sie weisen Worte wirklich gelassen aus:
„Ich kann mir erlauben, die Wahrheit zu schreiben; alle, denen zuliebe ich mein Leben lang gelogen habe, sind tot.“
That’s it! Es ist so schade, wirklich schade ist das. Dass das Deutsche Theater die Arbeit verweigert und eingestellt hat. Hinter einer gläsernen Wand gefangen nicht nur die Protagonistin, sondern Clemens Maria Schönborns Inszenierung ‚Sophie Rois fährt gegen die Wand‘ selbst. Rhetorische Fäden werden in den Raum geworfen und umgehend verloren. Verhandelt wird nichts, rein gar nichts Substanzielles. Das Publikum erstarrt im revuehaften Singsang. Besonders ärgerlich sind Bühnenbild und Kostüm. Muss ein Bühnenbild das Offensichtliche geradezu aufdringlich thematisieren? Ein Stück Torte als Gegenentwurf zur vordringlichen Notwendigkeit im Kampf ums Überleben? Dabei ist Haushofers Stoff die perfekte Steilvorlage im alpinen Corona-Massiv. 18 Monate Pandemie und das Deutsche Theater verwirft die Chance, Die Wand im Hier und Jetzt zu verhandeln. Eine Arbeit, die kurz vor dem ersten Lockdown Premiere feierte und problemlos hätte neu inszeniert werden können, werden müssen.
Selten erlebte ich 75 Minuten so zäh, nah am Einschlafen. Wäre nicht Sophie Rois die Heldin auf ihrer Alm. Zum Endapplaus rettet sie die alles andere als überzeugende Adaption. Die Riesling-Schorle wartet. Und sie tat gut. Gut deshalb, weil selbst mit inhaltlicher Vorkenntnis wenig bis nichts nach den textlichen Verstümmelungen von Haushofers Werk übrigblieb. Lassen Sie Sakko und Jogginghose in der Mottenkiste. ‚Sophie Rois fährt gegen die Wand‘ gesellt sich gewiss bald dazu. Mein Hochgefühl, wieder ins Theater zu dürfen, blieb dennoch.
- Gesehen am 1. September 2021
- Diesmal ohne Stimme der Nachtkritik