Schon bevor Tobias in diese mittlere Provinzstadt zum Studium geht, weiß er, dass er ein aufgehender Stern am Literaturhimmel sein wird. Er ist sich sicher und nimmt den Schmerz auf sich, Berlin – jedenfalls temporär – den Rücken zu kehren. Seine eigenen Kräfte unterstützen ihn, Tobias, sein Freund, später auch, und es geschieht, wie es geschehen musste. Sein Erstling wird gedruckt, besprochen, sogar übersetzt. Es ist ein ganz okayer Erstling. Tobias weiß das und genießt die Zeit. Die Zeit in seiner WG mit den Freunden von der Uni, die auch alle wissen, dass sie fabelhaft waren, großartig sind und beides immer sein werden.
In einer durch Alkohol getränkten Begegnung – manchmal täuscht man sich, gewiss – jedenfalls, irgendwann kommt das Gespräch auf Kinder und wer Kinder bekommen möchte. Tobias entscheidet, ein Kind haben zu wollen. Sein Freund, Tobias, findet die Idee super, den Zeitpunkt aber verfrüht. Over and out? Nein, nein, die Liebe.
Tobias steigt irgendwann in ein Flugzeug, nachdem er bereits einen Flugzeugabsturz überlebt hat, fliegt nach Belgrad und findet zu Gott. Ob die Frau mit gelbem Regenschirm für Tobias‘ Heimkehr ins Reich der Christen notwendige Bedingung ist, weiß nur Gott. Er fliegt also zurück nach Deutschland und beschließt, sein Leben zu ändern. Er beschließt, nie wieder zu schreiben. Das Schreiben aufzugeben, denn sein Malheur in Wien war ungeheuerlich. Abscheuliche Texte von viel intelligenteren Menschen erklärt zu bekommen, als er einer war, das war zu viel. Er betrank sich. Er beschließt, Pastor zu werden. Seine Gemeinde gibt ihm Halt. Jedenfalls bis zum Anschlag in Christchurch.
Halt! Fragen über Fragen, die Tobias in seinem kurzen Buch über 232 Seiten mit sich verhandelt. Was für Fragen? Fragen nach einer Generation, seiner, meiner Generation? Abgehoben, verkopft, präzise destilliert? Tobias Becker ist Protagonist im Karussell und Stereotyp einer Generation. Welcher Generation? Keiner. Tobias ist Suchender mit großem theoretischem Unterbau, der viel weint, aber wenig lacht. Der von eklektischen Episoden aus seinem Leben in der Mittelschicht schwadroniert. Jakob Nolte vermag witzig und scharf, je nach Kontext und Gesprächspartner:in, möglichst absurde Fragmente zu skizzieren, die einerseits Zeitgeist sind in Sprache, Form und Inhalt und andererseits grotesk zusammenhangslos. Medialisierung, Kommerzialisierung, Radikalisierung. Moralisieren, das im Grunde niemand braucht.
Jakob Noltes Roman „Kurzes Buch über Tobias“ manövriert im Staccato zwischen den Stilen und erinnert an das Lebensgefühl von Rafael Horzon in „Das neue Buch“. Moderne Kommunikationsform wie aktuelle Themen – Terror, Polyamorie, der Kulturbetrieb an sich – sind gewichtige Argumente für diesen Roman. Doch allein der Zweck ist nicht erkennbar. Provokation als Selbstzweck? Was wollen Tobias und Nolte? Die Antwort bleiben sie bis zuletzt schuldig. Effekthascherei oder Literatur als Entertainment?
Mein Fazit ist Entertainment mit Abstrichen, die, je nach Geschmackslage, Nolte als kompasslosen Schwafler deklassieren oder Tobias‘ Eskapismus in Romanform als kuriose Urlaubslektüre empfehlen. Lesen Sie selbst. Ich freue mich auf Kommentare.
- Gelesen im Juni 2021
- Aufmerksam geworden durch die Rezension von Felix Stephan in der Süddeutschen vom 9. April 2021.
- Ich danke dem Suhrkamp Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.