Es ist der Sommer, als Sam 16 Jahre alt wurde und seine Mutter verlor. Sam, der unscheinbare Junge. Ein Außenseiter an seiner Schule, der allein am Tisch zu Mittag isst. Sam’s Town ist das verschlafene Nest Grady, Missouri. Am weiten Horizont die Berge. Irgendwo dazwischen die Interstate, die Eisenbahn nach Westen, die weiten Felder und der Missouri River auf seinem Weg zum Meer.
‚Hard Land‘ von Benedict Wells ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman, der genau das hält, was er verspricht. Wells bleibt den Themen seiner vorherigen Romane treu: Der frühe Verlust der Eltern, der Suche nach Antworten auf die kleinen und großen Fragen des Lebens. Der Protagonist und Ich-Erzähler Sam beschreibt retrospektiv einen Sommer Mitte der 80er Jahre, als er 16 wurde sowie das nachfolgende Jahr im Verlauf. Er erzählt von seinem Sommer, als er Freunde fand. Als er sich fand und Antworten auf die 49 Geheimnisse von Grady.
Titelgebend ist der fiktive Gedichtband Hard Land, den Wells als Chiffre für das Thema seines Romans gekonnt wählt. Hard Land ist die Reise auf dem Weg ins Erwachsenwerden, bei der Cameron, Hightower und Kristin für Sam treue Gefährt:innen werden. Der Autor lässt seinen Helden tatsächlich heldenhaftes meistern. Aufgaben, Prüfungen der Jugend, die so warmherzig und tief emotional erzählt werden, wie nur wenige es sprachlich vermögen.
Der Entwicklungsroman ‚Hard Land‘ folgt formal dem klassischen Aufbau, wobei die Katharsis viel mehr dem großen und vor allem dem mutigen Sprung ins Leben gleicht. ‚Hard Land‘ ist ein Roman, der von den Episoden unserer eigenen Jugend erzählt. Ein liebevoller Blick ins Fotoalbum zehn, 20, 30 Jahr später. Ein Roman, der sich in einer Reihe liest mit „Skizze eines Sommers“ von André Kubiczek oder „89/90“ von Peter Richter. Ein Roman, den ich ganz ausdrücklich empfehle, weil er ein alter Freund aus dem eigenen Leben ist, dem Kaff der eigenen Kindheit und Jugend. Ein alter Freund, den man sich wünscht.
Gibt mir einen Freund, der meiner nicht bedarf, der mich entbehren kann, wird Wahrheit für mich haben. Ein ganz passender Satz aus Schillers Don Carlos, der für Sam genauso eintraf. Sogar mehrfach.
- Gelesen im Mai 2021
- Eine Empfehlung des Diogenes Verlags, der es eigentlich gar nicht bedurfte.
Eine Antwort auf „‚Hard Land‘ von Benedict Wells“