‚Der große Sommer‘ von Ewald Arenz

Hoch steht die Sonne und es ist heiß. Die Pappeln wispern. Mauersegler zischen durch die Lüfte. Es ist Sommer und Frieder fühlt, er wird besonders. Schulisch lief es eher suboptimal, weshalb er – Segen und Fluch gleichermaßen – die ewig scheinenden Sommerferien bei seinen Großeltern verbringt. Keine sechs Wochen mit der Familie am Meer. Für ihn bedeuten die großen Ferien Arbeit, Arbeit, harte Arbeit. Und viel Zeit für Eskapaden, erste Liebe, Eitelkeit und all die Dinge, die man so tut mit 16, 17 in großen Ferien, die über vieles, vielleicht über alles entscheiden.

Sieben Uhr aufstehen, von acht bis zwölf am Schreibtisch sitzen. Während Frieders Großvater, ein kühler, akkurater Mann – man möchte meinen, ein alter Preuße – seinen professoralen Pflichten als Professor nachgeht, ist Frieder zum Büffeln abkommandiert. Mathe, Latein, kein Zuckerschlecken. Doch Nana, die herzliche Großmutter, die viel mehr Mutter ist als groß, versüßt Frieder die Zeit. Ebenso Beate aus der Nachbarschaft. Und Johann. Und Alma. Eine Clique, wie sie im Buche steht auf ihrer Achterbahnfahrt der Gefühle. Schnell hoch und noch schneller runter. Dinge, die man eben so tut, mit 16, 17 in einer Stadt, die vielleicht der schönste Spielplatz ihrer Jugend ist. Oder wie Großvater schon wusste:

„Wenn man etwas tut, dann muss man wissen, wozu man es tut, nicht, wie. Das macht den Unterschied zwischen einem denkenden Menschen und einem Kopieraffen. Man hat selbst in der Hand, wofür man sich entscheidet“ (S. 95 f.).

War die Zeit der führen 80er Jahre nicht sorgenfrei? Für Frieder einigermaßen. Keine spannungsfreie Jugend. Denn alle, Johann, Alma, Beate und Frieder haben ihr Päckchen zu tragen. Ewald Arenz hat ihnen auf 317 Seiten ein Denkmal gesetzt. Ein Denkmal für die Jugend. ‚Der große Sommer‘ ist in der Tat ein großer Sommer, den alle aus Erfahrung kennen. Der erste große Sommer, in dem Entscheidungen fallen, die nicht belanglos sind an der Schwelle erster Verantwortung. Arenz skizziert fortlaufende Episoden. Miniaturen von Tagen und Wochen in verzückend leichter Sprache, die gelegentlich fast klebrig wird, um ohne Beigeschmack zu bleiben.

‚Der große Sommer‘ sind wie die Tage im ‚Auerhaus‘. Gewiss nicht der Sommer ‚89/90‘, aber doch sehr ähnlich. Auf jeden Fall die ‚Skizze eines Sommers‘ auf dem Weg ins ‚Hard Land‘, das für Johann und seine Kumpan:innen immer ein doppeltes Netz mit weichem Boden bereithält. Und am Ende? Am Ende wird natürlich nicht alles gut. Natürlich nicht. Aber Arenz‘ großer Sommer ist perfekt für diese Zeit. Ein Buch für Romantiker:innen und Junggebliebene. Ein Buch für Zausel und Miesepeter. Ein Buch für heißen Tee und laue Sommernächte. Ein Buch, dass völlig zu Recht als „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ 2021 prämiert wurde.

  • Gelesen im November 2021
  • Aufmerksam geworden durch Die Literaturagenten auf Radioeins vom 24. Oktober 2021.

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