Mein diesjähriger Weihnachtsroman ist so absurd wie 2020 im Allgemeinen. Der Protagonist, Hanio, ist ein Mann Anfang 20. Ein Mann im besten Alter, ohne Sorgen, mit guter Arbeit und guter Absicht, attraktiv, einigermaßen charmant und an sich eine gute Partie. Als Hanio allerdings in einer Bar die Zeitung las und wie erleuchtet einer Halluzination anheimfiel, beschloss er, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er betrank sich, nahm irgendwelche Tabletten und stieg schließlich in den letzten Zug des Tages. Ein im Übrigen sehr schönes Bild, wie ich finde. Was Hanio nicht bedachte, ist, dass auch der letzte Zug frisch und frei am nächsten Morgen erneut seine Reise durch die Tunnel und über die Hochbahnviadukte der Stadt antreten wird. Hanio überlebt und beschließt, sein Leben zu verkaufen.
Unser Protagonist und Ich-Erzähler ist grotesker Nihilist. Er inseriert in einer Zeitung, er sei gewillt, sein Leben zu verkaufen, woraufhin etliche ein gutes Geschäft wittern. Hanio trifft auf gehörnte ältere Herren, die ihre Liebe nicht teilen möchten. Auf zwielichtige Gestalten im Speziellen, auf Geheimdienstler und alleinstehende Frauen, die sich gern am Körper ihrer Liebhaber gütlich tun. In der Hoffnung bald durch fremde Hand vom Leben zum Tode befördert zu werden, übersteht der gerissene wie kluge Hanio alle Eskapaden stets mehr oder weniger unfreiwillig. Doch dann, im dritten Viertel des Buches, wendet sich das Blatt und die Handlung gewinnt dramatisch an Fahrt.
Der aus dem Jahre 1968 nun erstmals auf Deutsch erschienene Roman ‚Leben zu verkaufen‘ von Yukio Mishima verlangt Selbstkritik und reichlich Humor. Mishima hat auf 238 Seiten eine desillusionierend wie liebevolle Karikatur der japanischen Gesellschaft zu Papier gebracht, die in alten Traditionen verhaftet und gleichzeitig der Moderne Vorschub leistet. In der von Nora Bierich sprachlich sehr erfreulichen Übersetzung gelingt der Leserschaft ein Blick hinter die starren Fassaden einer unterkühlten Gesellschaft, der verstört und herrlich unterhält. Die Pet Shop Boys hätten ihre Videos nicht besser inszenieren können.
„Langweilig, langweilig, langweilig, wo bleibt der Spaß?, scholl es aus zehn Millionen Mündern statt einer Begrüßung, es war die gigantische Frustration der Großstadt. Die jungen Leute wimmelten wie Myriaden von Plankton durch die Nacht. Die Sinnlosigkeit des Lebens. Das Erlöschen der Leidenschaft“ (S.186).
Das Gegenteil von Langeweile bedeutet Mishimas Gesellschaftsroman. Ein Roman, der das Leben im Kern zutiefst bejaht. Der mit ironischem Blick sich selbst nicht zu wichtig nimmt. Der Ernstes schelmisch belächelt und Lebendiges betont – wenn auch auf den zweiten Blick. Mit ‚Leben zu verkaufen‘ empfehle ich einen Roman, der selbstverständlich mit Weihnachten so wenig zu tun hat wie Schnee und Stille Nacht. Aber gerade deswegen, eben weil japanischer Humor, obendrein literarisch ganz vorzüglich vorgetragen, für heitere Stimmung sorgt, sollten Sie ‚Leben zu verkaufen‘ nicht nur lesen, sondern all den Lebenshungrigen auf den Obstteller legen.
Euch und Ihnen fröhliche Feiertage und ein sonniges und gesundes 2021!
- Gelesen im Dezember 2020
- Eine Empfehlung aus der Buchkantine, Dortmunder Straße 1 in Moabit.