Drei Dinge wünsche ich mir von Romanadaptionen: Die Theaterschaffenden sollten ihre Arbeit von der literarischen Vorlage emanzipieren. Sinnvoll wäre es auch, Handlungsstränge zu kondensieren und meist umfangreiche Texte zu reduzieren. Zudem sind Dialoge oftmals viel besser als monologe Prosa, sodass lebendige Figuren mit Persönlichkeit, Tiefe und Charakter entstehen können.
Nach ‚Streulicht‘ und ‚Dschinns‘ hat Nurkan Erpulat mit ‚Hund, Wolf, Schakal‘ ein weiteres postmigrantisches Theaterstück am Gorki inszeniert. Durchweg trifft Erpulats Arbeit die Tonalität der Vorlage, die sprachlich mitreißt wie ein voller Zug der U8 zur Rushhour. Den Ton des Vaters, der mit seinen zwei Söhnen aus dem Iran nach West-Berlin flieht. Den Ton der Kinder, die in den späten 80er Jahren einen Ort zum Ankommen suchen. Den Ton der Straße in der wiedervereinten Stadt, der härter wird, roher. Der nicht nur Worte sprechen lässt, sondern zunehmend nach brechenden Fingern und Nasenbeinen klingt.
‚Hund, Wolf, Schakal‘ ist ein Roman, dessen zeitgeschichtliche Handlung unglaublich reich an aktuellen Bezügen ist, ohne sie explizit zu benennen. Ein großer Schatz, dessen Transformation für das Theater nur bedingt gelingt, legt man die oben skizzierten Wünsche zu Grunde. Im Wesentlichen erzählt der Roman drei aufeinanderfolgende, teils sich überlagernde Handlungsstränge: Die Geschichte des Vaters im Iran der Revolution und seine Flucht, die konfliktreiche Beziehung zwischen dem Vater Jamschid, gespielt von Mehmet Yilmaz, und seinem älteren Sohn Saam, gespielt von Doğa Gürer, sowie Saams Hineinwachsen und Etablieren in kriminelle Strukturen.
Die 120-minütige Arbeit ist kein Wunschkonzert und die Hälfte meiner oben formulierten Wünsche bleiben unerfüllt. Bedauerlicherweise wird die Geschichte des Vaters zu stark auf seine Situation vor der Flucht eingeengt und die vorantreibende Auseinandersetzung mit Saam bis auf wenige Nebensätze völlig gestrichen. Gerade Jamschids Haltung und Empathie fehlen als Gegengewicht. Die Beziehung der Brüder wird gar nicht verhandelt. Oberflächliche Dialoge erreichen nur selten die hohe Qualität der Vorlage, gleichwohl die Leistung des Männerensembles vieles aufwiegt. Überzogene Gewaltexzesse zahlen unnötig auf Gangsterklischees ein, was ‚Hund, Wolf, Schakal‘ nicht nötig hat. Erpulats Arbeit wird zum unterhaltenden Abziehbild.
Und dennoch ist ‚Hund, Wolf, Schakal‘ eine starke Inszenierung, die ohne den bemühten Romanvergleich allein für sich steht. Erpulat rückt sie weg von möglichen Schubladen, lässt sie fluide werden zwischen gängigen Genres. Große Stärkte ist Behzad Karim Khanis Sound der Romanvorlage, der konsequent durchgehalten wird. Das Stück gibt zudem jenen eine Stimme, die anscheinend alternativlos auf der Bühne einer Bestimmung folgen, real jedoch nie handlungsunfähig sind. Wie gelingt ein richtiges Leben im falschen? Indem keine 4Blocks-Kackscheiße zum Maßstab wird, sondern Saams Bruder Nima die Hauptrolle erhält.
- Gesehen am 30. März 2024
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.