Achtung, Theater! – ‚In My Room‘ am Gorki

Schauen wir in die Siedlung der zurückgelassenen Frauen. In die Fotoalben, die Super-8-Videos von Papa und Mama am Strand von Norderney. Papa mit den anderen Vätern, die kein Federball spielen mit ihren Töchtern und Söhnen. Die, ja was, nichts tun? Die Väter bei der Arbeit. Arbeit, immer die Arbeit. Mit den Söhnen kein Gespräch, kein innerer Zugang, keine Verbindung? Unausgesprochene Wünsche und ein Männlichkeitsbild, das, ja was? Männlichkeit als Schablone, als Rüstung, als Ausdruck von Stärke? Als Rollenbild im Selbstverständnis 1000-jährigen Heldentums? Was sagen Sie dazu in der Siedlung der zurückgelassenen Frauen, die Söhne, die Töchter, Kinder und Mütter?

Mumpitz sagen sie. Großer Mumpitz auf Sockel gehoben. In Stein gehauen und auf Podeste gestellt. „Mein Vater wollte immer reden“, sagt Knut Berger im autofiktionalen Monolog. Über alles reden, Gefühle erleben, austauschen, up to date sein 1983. Und abwesend sind sie, waren sie, die Väter. Nie da, nie Zuhause. Heute? Heute sind sie alt. Alte Männer im Seniorenheim. Pflegebetten belegt mit Greisen, die, ja was, ein falsches Leben im richtigen lebten?

Was sind die Gegenentwürfe zu den Männlichkeitsbildern im konservativen Rollback heutiger Tage? Diese Frage thematisiert ‚In My Room‘ am Berliner Gorki. Das am 15. Januar 2020 uraufgeführte Stückt präsentiert ein Stelldichein woker Themen. Queerness, die Abkehr vom heteronormativen Rollenverständnis als Gegenvorschlag. Falk Richter ist eine Arbeit gelungen, die ihre Vorgängerproduktion ‚Smalltownboy‘ gewissermaßen ins Heute und Hier adaptiert, auffächert und im Wechselspiel von Monologen und schneller Szenerie der Zielgruppe – dem queeren Publikum – einen Spiegel vor Augen hält. Können queere Beziehungen, Alternativen sein, wenn die Vorlage, das Original sozusagen, nur glitzernd kopiert wird? Wenn die viel zu lang verwehrte rechtliche Gleichstellung Diskriminierung formal aufhebt, doch die Antwort ein uninspiriertes Weiter so ist?

Emre Aksızoğlu, Kurt Berger, Lindy Larsson, Jonas Dassler und Taner Şahintürk springen als Fünfer-Ensemble munter herum im willkommen opulenten Bühnenbild von Wolfgang Menardi. Durch ihr starkes und ausgewogenes Spiel schafft es die Boygroup ohne Längen die ambitionierten und pausenlosen 2:15 Stunden hinweg zu spielen, zu tanzen, zu singen. Gleichzeitig hätte ein stärkerer Fokus auf die Geschichten der Väter der Qualität keinen Abbruch getan. Mit unbenommen ziemlich lustigen Passagen, in denen die Protagonisten des insbesondere schwulen Berlins ihren großen Auftritt haben, verheddert sich die Arbeit im Zuviel breiter Zeitgenossenschaft. Zudem ist ‚In My Room‘ für meinen Geschmack eine rein westdeutsche Perspektive, wenn man bedenkt, dass knapp die Hälfte der Kinder im Osten entweder Scheidungskinder waren und/oder gänzlich ohne Vater aufwuchsen. Nichtsdestotrotz ist ‚In My Room‘ eine wichtige Arbeit, die klassisch gorkiesk Diversität einfordert und einfach gutes politisches Theater ist.

  • Gesehen am 31. Januar 2023
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s