‚Das hündische Herz‘ von Michail Bulgakow

Die frühen Jahre der Sowjetunion waren bemerkenswerte, wenn auch für die einen mehr als für die anderen. Der Hund Lumpi erlebt hautnah, wie es ist, am Rande der gesellschaftlichen Transformationen zu stehen. Ohne warmes Heim streift er durch Moskauer Gassen auf der Suche nach den wenigen Dingen, die ihm den Magen füllen. Da erblickt Lumpi einen vornehmen Herren mit Mantel und Pelz am Kragen. Er wird doch nicht? Wird noch nicht diese Wurst, diese – wie hießt sie gleich – diese Krakauer kaufen. Und? Was nun, was tut er? Er teilt, zerteilt die Wurst und gibt Lumpi die besten Stücke. Lumpi und sein neues Herrchen, sein neuer Paps Filipp Filippowitsch, schreiten durch die Pretschistenka nach Hause.

Dass sich beide trafen, ist wirklich ein großes Glück für Hund und Herrchen. Ach, was schreibe ich? Für die ganze Bagage der Beletage in diesem ehrenwerten Haus. Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski ist ganz vernarrt in seinen Lumpi, den er nährt und pflegt, während sein Assistent Bromenthal noch verächtlich über Fumpis Dasein befindet. Und dann sind da noch Sina, die Köchin und Haushälterin der bescheidenen 7-Zimmer-Wohnung, die, wie der Hausgenossenschaftsvorsitzende Schwonder befindet, viel zu groß sei für Filipp Filippowitsch, dieser internationalen Kapazität der Hirnforschung.

Im Jahre 1925 scheint in Moskau wirklich alles möglich. Der unbändige Glaube an den Fortschritt, die religiös-fanatische Hypothek auf die Zukunft lässt Unmögliches möglich werden. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was ist der Mensch? Sein Glaube, sein Geist, seine Befähigung politisch zu urteilen? Seine Treue im Herzen? ‚Das hündische Herz‘ von Michail Bulgakow ist eine zynische Satire über genau diese Fragen. Bulgakows schiebt längst obsolete Moral kess beiseite, forscht und lässt Filipp Filippowitsch gelingen, was viele fordern: die Erschaffung des neuen Menschen.

Dialektisch baut Bulgakow sein hündisches Herz mehrdimensional auf. Zwischen Herkunft und Klassenstandpunkt kreisen bürgerliche und aristokratische Werte um die politischen, zivilisatorischen, kulturellen und ethischen Anmaßungen der neuen herrschenden Klasse, denen die Grobheit der Straße gegenübersteht. Dabei wechselt der Autor zwischen der Perspektive des Ich-Erzählers Filippowitsch und den inneren Dialogen von Lumpi und Bromenthal mehrfach. Aber Halt, Bromenthal:

„Begreifen Sie doch, das Furchtbare ist, dass er kein hündisches Herz mehr hat, sondern eben ein menschliches. Und zwar das scheußlichste von allen, die der Planet so hergibt.“ (S. 117)

Allgegenwärtige Utopien sind die Kulissen auf 136 Seiten. Du neuer Mensch, sag mir wo du stehst. Ich stehe auf der Seite der Literatur und empfehle ‚Das hündische Herz‘ in der Übersetzung von Alexander Nitzberg sehr gerne weiter.

  • Gelesen im Januar 2022
  • Ganz herzlichen Dank, lieber Erich, für dein Geschenk und die Empfehlung für russische Klassiker. На мир и Дружба!

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