‚Die Frau in den Dünen‘ von Kobo Abe

Heftig weht der Wind, als ein junger Mann durch die Dünen streift. Ein junger Mann, der Insekten sammelt. Den Sandläufer sucht er, einen seltenen Käfer. Bestimmen möchte er ihn für die Forschung. Auf dem Weg zum Strand durchquert er ein Dorf, das auf ihn ärmlich wirkt. Heimliche Blicke sind auf ihn gerichtet. Überall. Touristen verirren sich selten in diese Gegend, denkt er. Merkwürdige Gruben allen Ortens. Gruben mit bewohnten Häuser. Wie Menschen dort unten nur, in dieser Tiefe, leben können?

Es wird spät und ein Dorfbewohner bietet ihm eine Herberge an in eben einer dieser Gruben am Dorfrand. Trotz allem willigt der junge Mann dankend. Am nächsten Morgen, die Gastgeberin schläft von ihrer langen nächtlichen Arbeit, fällt sein Blick auf die steile Wand aus Sand. Was ist passiert? Die Leiter, die Strickleiter, an der er hinabstieg, ist verschwunden. Gefangen ist er. Gefangen in einer Grube aus Sand mit einem schäbigen Haus und einer Bewohnerin, die des Nachts Sand schaufelt, um das Haus vor dem Untergang zu bewahren. Nun, gefangen schmiedet er Pläne. Pläne der Flucht. Er scheitert und ergibt sich seinem vermeintlichen Schicksal. Was tun mit dem Haus und der Frau in den Dünen?

‚Die Frau in den Dünen‘ ist ein bemerkenswert sonderbarer Roman, der 1962 in Japan und wenige Jahre später in der Bundesrepublik erschien. Geradezu kafkaesk hat Kobo Abe eine Geschichte entworfen, die Sisyphus als Homo faber zum Thema hat. Der schaffende Mensch, der nicht schafft, sondern wegschafft. Tagein, tagsaus schafft er weg und zwar Sand. Gleichförmige Körner, die ihn krankmachen, Dinge begraben. Verschütten, zerstören und konservieren. 248 Seiten, die vom Freiheitsdrang handeln. 31 Kapitel, die eine Aneinanderreihung sind von absurden Entscheidungen und Pfadabhängigkeit. Drei Teile eines Romans, die in einer wundervoll bildhaften Sprache die Geschichte eines jungen Mannes erzählen, der mal rebelliert, sich mal seinem Schicksal ergibt, der flieht.

‚Die Frau in den Dünen‘ ist ein Klassiker der japanischen Moderne, den man gelesen haben muss. Eskapismus in Zeiten der Enge und drüber hinaus. Mehr als die eigentliche Handlung setzt der Autor blanken Existenzialismus ins Zentrum seines Romans. Das aufstrebende Individuum steht dem Utilitarismus der Dorfgemeinschaft nahezu unversöhnlich gegenüber. Abe hat mit seiner Frau in den Dünen eine moderne Parabel geschaffen, deren Fragen aktueller sind denn je. Eine mystische Geschichte über die Suche nach dem Weg und dem Ausweg. Ein Roman, der bannt und fesselt. Fesselt durch Sand und immer wiederkehrende Monotonie. Ein Roman, den ich allen Literaturfreund:innen ausdrücklich ans Herz lege.

  • Gelesen im November 2021
  • Ganz herzlichen Dank, liebe Susann, für dein Weihnachtsgeschenk.

Eine Antwort auf „‚Die Frau in den Dünen‘ von Kobo Abe

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