‚Let’s Talk About Feelings‘ von Leif Randt

Mit der Entscheidung, ihre Beisetzung auf dem Wasser stattfinden zu lassen, setzte sich Marian letztlich gegen seinen Vater Milo durch, der die frischen Butterbrezeln, eingeschlagen in weiße, sorgfältig gelegte Stoffservietten, zunächst als überflüssig kritisierte, sie beim Verzehr dennoch lobte. Während seiner Zeit auf dem stillgelegten Ausflugsdampfer seines Vaters betonte Marian die Bodenständigkeit und Wahrhaftigkeit des Moments und wählte ausschließlich stilles Mineralwasser in kleinen Glasflaschen. Sekt würde an der Anlegestelle bereitstehen, nachdem Carolina Flanders‘ Asche über dem Großen Wannsee verstreut wurde.

Carolina Flanders galt in den 70er Jahren, wahrscheinlich auch bis in die 80er hinein, vielleicht sogar bis zu Marians Geburt, als Superstar. Sie war Model und Ikone einer Generation und vererbte ihrem Sohn den Sinn für das Schöne. Eine wirtschaftlich weitsichtige Frau war Carolina Flanders nie gewesen, weshalb Marian – seine Boutique Kenting Beach in Schöneberg galt nicht nur Szenekenner:innen als authentisches Produkt für ein neues Berliner Ich – seine leichte Enttäuschung nicht leugnen konnte.

Kenting Beach war sein Baby und verband Fashion mit warmem, sensationellem Engagement für Haltung und Neues. Marian fragte sich, was ihm sein Leben nach seiner letztlich ganz behutsamen Trennung vor wenigen Jahren mit Anfang 40 noch bieten könne. In dieser aufreibenden Lebensphase fiel es ihm nicht leicht, sein Budget totally zu fokussieren. Sein Freund Sergej, ein russischstämmiger Gay, der sich in letzter Zeit modisch stark für portable Haarsysteme interessierte und Marian bei der Buchhaltung im Store unter die Arme griff, riet ihm, genau jetzt zu investieren. Marian würde einstellen und Vorstellungsgespräche führen.

„Die Begegnungen hatten ausnahmslos Spaß gemacht und es brach ihm das Herz, Absagen rausschicken zu müssen. Er bemühte sich darum, jede Absage individuell zu begründen und auf Gesprächsinhalte lobend Bezug zu nehmen. Marians liebste Variation des Satzes ‚Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder‘ lautete: ‚Würde mich extrem freuen, dich bald im Laden zu begrüßen. Ein Discount ist dir sicher.‘“ (S. 107)

Die gute Nachricht ist: Dem 41-jährigen Single Marian, einem kinderlosen Moderealisten mit Ladengeschäft in finanzieller Schieflage, geht es sehr, sehr gut. Zwar schmerzt der unverhofft frühe Tod seiner Mutter. Davon abgesehen hat er die Wirren seiner 20er und seine großartigen Eskapaden in den 30ern einigermaßen schadlos überstanden. Die zweite gute Nachricht lautet: Leif Randt hat diesen Typus Mann, einen manierlichen, eigentlich sehr netten Schnulli, der oft nervt und dabei nur in den Arm genommen werden möchte, so wunderbar in Szene gesetzt, dass mit jeder unironischen Volte sein Leben noch ikonischer wird.

Der Inhalt ist konsequent – die personale Erzählführung ist es auch. Suggeriert der Titel auch Empathie und Nähe, schafft es nur sehr wenig Literatur, noch größere Distanz herzustellen zwischen den literarischen Figuren sowie zu ihrem Publikum. Diese Synthese zwischen Form und Inhalt ist bemerkenswert. Sprachlich operiert Randt konstant im Duktus pragmatisch-kuschliger Wohlfühlatmosphäre saturierter Werbeagenten.

Inhaltlich erinnert seine Engführung stark an ‚Karte und Gebiet‘ von Michel Houellebecq – gewechselt wird lediglich das Sujet Kunstmarkt gegen die Modebranche. In Randts postfaktischer Kulturkritik existieren im hedonistischen Lebensmittelpunkt des Figurentableaus ausschließlich Mode und Cuisines. Beschreibungen von cosy Hemden fiktiver Edelmarken werden abgelöst durch Restaurantkritiken neuster Asia Fusion mit lokalen Zutaten der Saison. Der popkulturelle Klassiker ‚Faserland‘ von Christian Krach liegt als weitere Referenz für den 306-seitigen Roman auf der Hand.

Doch auch am Großen Wannsee verträgt das Wasser keine Dauerhitze. Die Ankündigung, ‚Let’s Talk About Feelings‘ sei ein Coming-of-Middle-Age-Roman, bleibt als Behauptung schöne PR. Ein entrückt sorgenfreies Leben, wie es Marian, seine kleine Schwester Teda als weiblich gelesene und erfolgreiche DJ oder Sergej in Berlin, Indien, Japan und manchmal auch in Wolfsburg führen, ist literarische Utopie – auch für Held:innen am Anfang ihrer 40er mit einem weit größeren Erbe als Marian. Eine Kritik könnte lauten:

„Während die Credits über die Leinwand fuhren, nahm die Lautstärke des Applauses sukzessive zu, und Marian dachte, dass er auf einem Ranking von null bis zehn eine stabile acht vergeben würde.“ (S. 204)

  • Gelesen im November 2025
  • Aufmerksam wurde ich auf den Roman durch die Besprechung von Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung vom 3. September.

2 Antworten auf „‚Let’s Talk About Feelings‘ von Leif Randt

Hinterlasse einen Kommentar