Zwei Jever mit Hamburger Bitte, in Deutschland oben, ganz oben. Zu fettige Krabben in Majo-Soße. Trotz Wind und Bratenfettgeruch perlt das Bier wunderbar frisch den Rachen hinunter. Solch eine innere Erfrischung tut gut bei Gosch in List. Hauptsache die Barbourjacke sitzt. Die Farbe ist gleich, wenn auch Grün natürlich von mehr Geschmack zeugt als Blau. Lange hält man es ohnehin nicht aus auf Sylt. Ist das Leben eine Reise, dann reise mit leichtem Gepäck. Die Euroschecks sitzen locker und die blauen D-Mark-Scheine auch – kennt die noch jemand?
Mit dem Abendzug von Westerland nach Hamburg zu Nigel und von Nigel weiter nach Frankfurt. Wieso dieses Frankfurt, wer weiß das schon? Bei Nigel in Hamburg ist es immer ganz lustig. Wobei Nigel natürlich nur so tut, als sei er nicht reich. Abgewetztes Klingelschild, T-Shirts für 7,99 Mark mit Werbelogo. Coca Cola oder Fanta ganz groß – so ist Nigel. Immer auf Techno-Partys schleppt er einen, aber lustig ist es. So wie im Übrigen die ganze Reise. Hamburg, Frankfurt, Heidelberg. Waren Sie einmal in Heidelberg? Gäbe es keine Studenten in Heidelberg [ohne Innen], in Heidelberg träfe man nur Menschen in beige. Bei diesem Gedanken machen auch Jever bei Gosch in List und Schampus bei Rollo am Bodensee keine Freude. Immerhin ist das Leben wie eine Fahrt mit der Bundesbahn. An kommt man meistens, nur wo weiß man nie genau.
„Und keiner weiß, was genau man da will. Tourismus ist es ja nicht. Und Geschäftsreisen sind es auch nicht. Es gibt einfach keinen vernünftigen Grund, in Dritt-Welt-Länder zu fliegen, außer man geht einer Beschäftigung nach, die es eigentlich gar nicht mehr gibt: dem Müßiggang.“ (S. 139)
Was für eine pointierte Beschreibung, die Christian Kracht höchstselbst deklamiert. Viel mehr Reisebericht als Roman erschien ‚Faserland‘ als Erstling 1995 und avancierte zum Klassiker deutscher Popliteratur, der gut unterhaltend und inhaltsarm dunkelschwarzen Zynismus zum Thema hat. Im Grunde ist damit alles gesagt, wären Krachts vergiftete Komplimente nicht so lustig und gleichermaßen Sittengemälde einer Kaste von Menschen, die einfach gerne von Hamburg nach Sylt fliegt. Einfach, weil man es kann und das Jever bei Gosch in List einfach viel besser schmeckt. Zynismus als dauerbrennendes Stilmittel und ein Leben im Dauerrausch. Dauerrausch im Dauerlauf mit Blick nach unten auf all die Umpa Lumpas, die glücklicherweise von alledem Schönen niemals etwas erleben werden.
Christian Krachts ‚Faserland‘ sind 165 Seiten Reisebericht der gerade untergegangenen Bonner Republik ohne Krimskrams aus dem Osten. Ein Reisebericht zum Durchatmen und Auspusten, was Hirn und Nase blockiert, was krabbelt und fleucht. Was belanglos ist, so wie das Allerallermeiste für den Protagonisten und Ich-Erzähler. Selten rührende Momente wirken wie schreiend hoffnungsvolle Strohhalme in einem Sujet, in dem Werte – vor allem innere – bloße Anachronismen sind und Ausdruck permanenter Depression. Ein Reisebericht, der im privaten Bibliothekskanon zeitgenössischer Literatur nicht fehlen sollte.
- Gelesen im Januar 2023
- Herzlichen Dank für diesen längst überfälligen Roman auf meinen Weihnachtsgabentisch, lieber Patrick.