‚Young Mungo‘ von Douglas Stuart

Regen peitscht über das schroffe Bergland im kurzen schottischen Sommer. Einige Tage abseits der Stadt soll Mungo etwas vom Leben lernen. Zelten, angeln, Zeit in männlicher Umgebung verbringen. Zeit, die er mit seinem früh verstorbenen Vater nie hatte. Mo-Maw, Mungos Mutter, hält es für eine gute Idee, und Mungo, ja Mungo, wäre zweifelsohne viel lieber in Glasgow, wo er Anschluss fand. Einen Freund im grauen East End, der in nächster Nachbarschaft für Mo-Maws Jüngsten zum guten Gefährten wird. Sein ältester Bruder, längst ausgezogen und bereits Vater, seine Schwester in ihrer Rolle zerrissen zwischen mütterlicher Abwesenheit, eigener Zukunftsplanung, Verbitterung.

Verbitterung, eine Octave, die Mo-Maw tagtäglich spielt. Auf der Suche nach Leben, nach Zerstreuung, Liebe, sich verlieren im Alkohol. Tage, Wochen abwesend, ohne die Kinder in Kenntnis zu setzen, was sie tut, wo sie ist. Angst, psychische und physische Gewalt sind die Methoden ihrer Wahl. Und Mungo, ihr bildhübscher Junge, zurückgenommen, schüchtern, sucht auf seine Weise Nähe und Bestätigung, die viel mehr Wunsch als Realität sind. Sein neuer Freund James soll Anker sein, sein Haltegriff im regennassen Sturm.

„Ich fand einfach, du solltest was von Glasgow haben. Ich dachte, es würde uns Frieden bringen […] Mungo heißt auf Keltisch mein Lieber. Und das bist du.“ (S. 196)

Das Leben im Glasgower East End zehn Jahre später. Nach Douglas Stuarts viel beachtetem Roman ‚Shuggie Bain‘ ist die Stadt am Clyde River erneut Handlungsort für seinen aktuellen Roman ‚Young Mungo‘. Die Werften geschlossen, die Fabriken verbarrikadiert. Für katholische und protestantische Jugendgangs sind Krawall und Straßenschlachten willkommene Abwechslung. Lebenselixier auf Speed und Alkohol, Eskapismus zwischen Armut und einer Zukunft, die oft hoffnungslos, oft höchst prekär ist. Douglas Stuart fängt bilderreich in windigen Tönen ein soziales Milieu ein, das er facettenreich darzustellen weiß, ohne klischeebeladen Vorwurfskeulen zu schwingen. Gleichzeitig sind sowohl Rahmenhandlung als auch inhaltliche Nebenstränge auf 414 Seiten oft schwer erträglich. Sechs Monate harter Tobak aus dem Leben des 15-jährigen Protagonisten Mungo Hamilton.

‚Young Mungo‘ ist ein Roman, der handwerklich sehr gut eine Zeit und eine Gesellschaft in den Fokus rückt, dessen Hauptfiguren die Verlierer der Thatcher-Ära sind. Ein Roman, der die Suche nach Identität, nach Zugehörigkeit zum Inhalt hat und zutiefst erschütternd von Gewalt, Stereotypen, Rollenvorstellungen und toxischer Männlichkeit spricht. Ein Roman, der selten Freudvolles berichtet und dennoch ein Roman ist, dem das Gute und Schöne innewohnt. Mit ‚Young Mungo‘ hat Douglas Stuart einen Roman vorgelegt, der anknüpft und weitererzählt. Der nach klassischem Romanaufbau mit aller Schönfärberei bricht und als Urlaubslektüre in jeden Koffer gehört.

  • Gelesen im April 2023
  • Eine Empfehlung aus dem Newsletter von Prinz Eisenherz, den ich ebenfalls sehr ans Herz legen kann.

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