Willkommen in der Besserungsanstalt Schütte! Schütte, ein Wenige-Seelen-Dorf zwischen Plausnitz und Bracken ist die neue alte Wahlheimat von Theresa. Holterdiepolter nach dem Tod ihres Vaters entschließt sich Theresa, zurückzugehen ins Brandenburger Nichts. Aufgebrochen ohne Rückfahrkarte nach Münster, wo sie mit Stefan eine WG bewohnt und vorgibt, Literaturwissenschaft zu studieren. Im Gegensatz zu Theresa beendet Stefan sein Studium. Seinen Trennungsschmerz – selbstverständlich war Stefan heimlich in Theresa verliebt – verarbeitet er durch Drang und Tatkraft. Mit guten Ideen, etwas Glück und dem Wohlwollen alter weißer Männer wird Stefan zum kleinen Star der Wochenzeitung DER BOTE und steigt schließlich auf zum Leiter des Kulturressorts.
Zwischen der Ressortleitung und Theresas Flucht ins Nirgendwo liegen – wie viele Jahre: 15, 20? – 20 Jahre Vergehen, Werden, Wiederfinden. Rein zufällig stehen sich Theresa und Stefan nun 20 Jahre später in der U2 gegenüber und beginnen zu trinken, zu streiten, Nummern zu tauschen. Und die Unterschiede zwischen beiden Welten könnten nicht größer sein. Theresa, pragmatische Unternehmerin, Landwirtin mit dem Herzen am rechten Fleck, Mutter und Frau in einer holprigen Beziehung kurz vor der Insolvenz. Stefan, Hamburger Kulturbürger, Weltenbummler und Besserwisserfeuilletonist, der gerne auf der richtig richtigen Seite steht und dem Recht zu haben, ein ganz großes Plaisir ist. Oft kommen ihm wissende, kluge Gedanken:
„Man muss nicht jeden Schwachsinn ins Blatt nehmen, nur weil er von einem Schriftsteller stammt. Schriftsteller*innen haben in 99 Prozent der Fälle keinerlei Expertise, verkaufen sich aber als Orakel und schwadronieren über Gott und die Welt“ (S. 112).
Eben! Man muss nicht jeden Mumpitz zu Papier bringen, drucken und in Schaufenster stellen, selbst wenn es sich um den Abschluss einer Romantrilogie von Juli Zeh handelt. ‚Zwischen Welten‘ schließt ab, was ,Unterleuten’ fulminant begonnen hat. Ein Sittengemälde gesamtdeutscher Milieus. Cleavages zwischen Stadt und Land, Alt und Jung, Konservativ versus grün-links-versiffter Kulturbourgeoisie auf Lastenrädern. Meine Hypothese, Juli Zeh hätte den weltbesten Lyrikband schreiben können und wäre ihrer Person wegen und kontroversen Aussagen zerschrieben worden, wird klar falsifiziert. Juli Zeh in Co-Autorenschaft mit Simon Urban widerlegen meine Annahme ohne Zutun Dritter: sprachlich, inhaltlich, teilweise formal.
Schablonenhaft blasse Charaktere, die sich im allgemeinen Paraphrasieren verlieren. Die Richtiges an falscher Stelle zum Besten geben. Die mutwillig in jedes Fettnäpfchen treten aus Missverstehen und Missverstandenwerdenwollen. Protagonistin und Antagonist stehen sich trotz steten Bemühens derart diametral gegenüber – obendrein fehlen dem Autorenduo auf 444 Seiten die Sprache, um Zwischentöne anzuschlagen und dem weiten Zwischendrin eine Stimme zu geben. Juli Zehs ironischer Umgang mit der ihr entgegengebrachten Kritik, ist immerhin ein ganz witziger Move. Ebenso wie die formale Entscheidung, ‚Zwischen Welten‘ als Briefroman zu verfassen. WhatsApp-Nachrichten schwirren abwechselnd mit E-Mails durch den gedruckten Äther, als ob die Wahl des Mediums schon als habituelle Positionierung für sich steht. Mein Fazit: ‚Zwischen Welten‘ ist uninspirierte Sprachlosigkeit auf relevante Fragen.
- Gelesen im Februar 2023
- Ich danke dem Luchterhand Literaturverlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.