‚Was es braucht in der Nacht‘ von Laurent Petitmangin

Es ist dieses besondere Licht, das nur wenige Wochen den Sportplatz in weiche Spätsommerstimmung taucht und wer Lothringen kennt, weiß, dass dieses Licht nur Vorbote des Nachfolgenden ist. Ein Kipppunkt, an dem Frédéric langst steht. Frédéric, den alle nur Fus nennen, ist begnadeter Fußballer – daher sein Spitzname. Als älterer Bruder fühlt sich Fus nicht nur Gillou gegenüber verantwortlich, sondern insbesondere seinem Vater, der Mutter, dem Leben und den Menschen hier in einer abgehängten Region im Zentrum Europas.

Wie das Departement Moselle seit langen hat auch Fus‘ Leben Schlagseite bekommen, als seine Mutter mit 35 Jahren verstarb. Dem Vater, Ingenieur bei der SNCF, beinahe außer Stande das Leben der Familie auf gerader Bahn zu halten, steht Fus helfend mit Tatkraft zur Seite. Und da ist er wieder, der Kipppunkt, der großes ins Rollen bringt. Als braver Jung von allen geschätzt, kein Überflieger in der Schule, aber freundlich, zugewandt, Fußballer der Herzen, beginnt der Teenager, seinen Vater außen vor zu lassen. Nicht mehr bei Besuchen zu begleiten. Nicht mehr zu den alten Freunden der Parti socialiste. Fus fand neue Freunde. Freunde in einer anderen Partei, die im Departement Moselle längst den Ton angibt.

Was braucht es im Leben, wenn das Sommerlicht fad und die Nächte unruhig werden? Unruhig, weil man sich als Mensch, als Vater mit Vorwürfen plagt, was schief lief auf gerade Bahn? Warum der eine Sohn erfolgreich in Paris studiert und der andere zum Faschisten wurde? Der namenlose Vater stellt diese rhetorischen Fragen in den Mittelpunkt von Laurent Petitmangins Erstling ‚Was es braucht in der Nacht‘. Auf 157 Seiten verhandelt der Autor die persönliche, räumliche und politische Entfremdung zwischen dem Vater und seinen zwei Söhnen. Episodenhaft wird sukzessive deutlich, dass Zufälle und Nichtigkeiten im Leben über Wohl und Wehe entscheiden. Ohne unnötig zu psychologisieren, ist Laurent Petitmangin ein Roman gelungen, der nach ganz persönlichen Antworten schürft, die offen bleiben. Die gewissermaßen aber auch der Autor den Lesenden schuldig bleibt.

‚Was es braucht in der Nacht‘ ist thematisch hochaktuell und sprachlich eine gut bekömmliche Speise an heißen Tagen. Ohne Ausreißer nach oben und unten bleibt der Roman doch insgesamt hinter meinen Erwartungen zurück. Ob formal intendiert oder unbewusst: Durch die Sollbruchstelle auf Seite 101 versperrt sich der Autor die Möglichkeit, charakterliches zu schärfen und die Antworten zu geben, die eine oder andere Kante abgerundet hätte. Nichtsdestotrotz ist ‚Was es braucht in der Nacht‘ ein Roman, der durch Aktualität und Unaufgeregtheit besticht. Ein Roman, der wahnsinnig empathisch Menschen ins Zentrum rückt, die selten im milden Sonnenlicht Lothringens stehen. Ein Roman, der fragt und nicht urteilt und vielleicht für Manche ein Geheimtipp ist.

  • Gelesen im Juni 2022
  • Ein schöner Zufallsfund in der Buchkantine, Dortmunder Straße 1 in Moabit.

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