Schullektüre. Der Rosshändler Michael Kohlhaas möchte seinem friedlichen Gewerbe nachgehen und Rappel verkaufen, als er ins Sächsische reitet und an einem Schlagbaum seine Reise unterbrochen wird. Er solle eine Erlaubnis vorzeigen oder einen Passierschein lösen. Andernfalls müsste er sich eine Erlaubnis einholen und zurückkommen. Nach Gesprächen mit dem Junker Wenzel von Tronka folgt Kohlhaas dem Vorschlag des Adligen, die Rappen ihm als Pfand zu lassen, während Kohlhaas nach Dresden reitet und einen Passierschein einholt. Doch in Dresden erfährt er, dass ein solches Gesetz nicht existiere. Er brauche keine Erlaubnis, keinen Passierschein. Verärgert stellt Kohlhaas den Verwalter wie von Tronka zur Rede, die ihrerseits die Rappen zur harten Feldarbeit einsetzten und verwahrlosen ließen. Kohlhaas beschließt, seinem Recht auf juristischem Wege beizukommen und unterliegt. Also beschließt er weiter, auf eigene Faust tätig zu werden und Rache zu üben.
Kohlhaas, der durch ein Unglück seine Frau verliert, hält nichts mehr. Die Kleist’sche Frage, die in ihm brennt: Muss ich einem Staate dienen, der meine Gefolgschaft verlangt, meine Rechte und meine Sache aber nicht vertritt? Ist es wichtig, ein guter Mensch zu sein oder gut zu handeln? In der Regie von Simon McBurney und Annabel Arden liefert die Schaubühne keine Antworten, aber stellt Fragen. Viele Fragen, die uns und unsere Zeit betreffen. Fragen, die in einer stimmigen, im Laufe der 110 Minuten dauernden Arbeit bis zum Überschwellen ansteigen. Anschwellen, bis ein Urteil fällt über Kohlhaas, der brandschatzt und raubt und mordet in seiner rasenden Wut für seine gerechte Sache.
Ist es gerecht, sein Recht mit Unrecht einzufordern? Dogmatisch bis ideologisch mit allen Mittel zu kämpfen? Alles aufs Spiel zu setzen im Seiltanz zwischen Abgrund und Sieg? Die Schaubühne am Lehniner Platz hat ‚Michael Kohlhaas‘ ins Heute geholt. Als mediales Großereignis arbeitet das gut funktionierende Ensemble im Räderwerk der Geschichte. In ihrem Bühnenbild variiert Magda Willi Kulissen wunderbar vielgestaltig, ohne den funktional sachlichen Rahmen zu verlassen. Mit ‚Michael Kohlhaas‘ erlebt das Publikum ein exklusives Schauspiel großer Philosophie. Die Novelle von Heinrich von Kleist bietet an Stoff genug. Hat die theatrale Umsetzung hinten raus leider unnötige Längen, ist sie fulminant gespielt, handwerklich gut ausgearbeitet und alles in allem unbedingt sehenswert.
- Gesehen am 24. Oktober 2021
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.