Achtung, Theater! – ‚Ausweitung der Kampfzone‘ im Deutschen Theater

Die bretonische Kuh ist ein mildes Tier. Seit 1000 Jahren weidet sie und käut wieder und wieder. Bis alljährlich, vom inneren Drang beseelt, die Lust erwacht. Doch der Mensch hat ihr dieses Geschenk, diese Freude genommen. So oder so ähnlich wird es bestellt sein um das Leben der bretonischen Kuh. Die sechs Monate später ein Kalb gebärt. Die bretonische Kuh als einträgliches Geschäft.

Wussten Sie, dass Tiergeschichten ein weit verbreitetes und überaus geschätztes, literarisches Genre sind? Sogar geschätzter als die üblichen Schmonzetten! So oder so ähnlich bekräftigen ein namenloser IT-Spezialist, die mittlere Führungskraft Henry und weitere Herren, als Houellebecq-Double getarnt, die Notwendigkeit für Tierbelletristik. An dieser Stelle muss gesagt sein, dass insbesondere Männer diese Rollen verkörpern. Was völlig okay ist, denn Lisa Hrdina und Kathleen Morgeneyer brillieren auch ohne Houellebecq in Übergröße.

Lange bleibt unklar – im Grunde bleibt das Rätsel bis zum Ende ungelöst – was der Storch mit dem Fuchs und die bretonische Kuh mit der ausgeweiteten Kampfzone gemein haben. Sind es die Kälber? Junge, unschuldige Kälber? Rein und unbefleckt wie die Zeit der Jugend und des Glücks? Eine Zeit also, deren Erinnerung müde verblasst und auf ausgeblichen Fotos in Kellerkisten vermodert? Wir wissen es nicht und leider bleibt Ivan Panteleev noch mehr schuldig als diese eine Antwort.

Panteleev hat komische Szenen ohne Verbindung auf eine Bühne gestellt. Ohne irgendeine Geometrie zwischen dem Originaltext und der Vielzahl an Schnipselfragmenten Houellebecq’scher Geisteshaltung herauszuarbeiten. Die ‚Ausweitung der Kampfzone‘ ist barock und gleichzeitig so banal, wie ein Streik Pariser Metrofahrer. Eine belanglose Aneinanderreihung von Episoden, die – wohlwollend interpretiert – irgendwie eine Geschichte erzählen. Die Geschichte vom männlich-depressiven Prototypen der gehobenen Mittelschicht aller noch folgenden Houellebecq-Romane nämlich. Vom namenlosen IT-Spezialisten, der ungeliebt mit viel Ironie auf leerer Autobahn unter einen Lastwagen gerät.

Panteleevs Arbeit bleibt hinter meinen Erwartungen zurück. Zwar blitzen immer wieder wunderbare Dialoge frisch und warm am Firmament kitschig nörgeliger Provinzfolklore auf. Doch wäre es umgekehrt – mehr Mut und Wagnis und mehr Zutrauen in das Publikum – es hätte ein dialogisches Feuerwerk zwischen postmodernem Patriarchat und feministischer Markttheorie werden können. Immerhin: 25 wunderbare Minuten zu Beginn entschädigen für Vieles.

Die ,Ausweitung der Kampfzone‘ war der Beginn einer Reihe kluger Gesellschaftsdiagnosen, die noch heute entrüsten. Leider wird am Deutschen Theater weder provoziert noch versachlicht noch gut unterhalten. Wie Houellebecqs Protagonist bleibt das Stück an der Oberfläche. So saturiert, beinahe tot, wie die Alte Schönhauser Straße. Wie eine alte Beziehung, in der Essen und Konsum Sex und gegenseitiges Interesse längst substituierten. 2 Stunden und 15 Minuten ohne große Dramen, ohne Streit. Etwas Gebrüll hier. Etwas bretonische Kuh und das SCUM Manifesto auf der anderen Seite. Ein belangloser Abend, wie RTL II am Berliner Spätsommerabendhimmel.

  • Gesehen am 13. September 2019
  • Hier die Stimme der Nachtkritik.

 

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