‚Die Wohlgesinnten‘ von Jonathan Littell

Maximilian Aue, promovierter Jurist aus Kiel, politisch ganz auf Linie des intellektuellen Zeitgeists. Ein junger Mann, der es schaffen will. Ein überaus sympathischer Protagonist, mit Herz am rechten Fleck. Der sich kümmert. Der emphatisch ist. Und ich muss mir unweigerlich die Frage stellen: Wie hätte ich gehandelt? Wie hätte ich mich entschieden?

Max, in lauer Sommernacht im Tiergarten unterwegs, wird von einer Polizeistreife aufgegriffen, die weiß, was die Stunde geschlagen hat. Max hat Glück, denn wie durch einen Wink des Schicksals hat Thomas Dienst. Man einigt sich unter alten Freunden. Niemand will Aufregung und kleine Missgeschicke können Jedermann passieren. Wiederholt macht Thomas Max ein teuflisches Angebot, welches er unter Freunden nicht ablehnen kann.

Der Autor springt und wir befinden uns 1941 an der Ostfront. Mit grausigem Detailreichtum erfahren wir, wie gemordet wurde: Zuerst nur Männer, später auch Frauen und Kinder. Als Patronen knapp wurden, mussten zwei Schuss statt fünf pro Person genügen. Als dem ständig betrunkenen SS-Führer und Max‘ Stabschef Blobel die Hinrichtungen zu langsam gingen, wird stolz der Vergasungs-LKW zum Test an Max‘ übergeben. An dieser Stelle, etwa auf Seite 350, hatte ich ernsthaft das Bedürfnis, das Buch beiseite zu legen. Ich bin froh, es nicht getan zu haben.

Jonathan Littell entwirft die fiktive Autobiografie eines jungen SS-Offiziers, der Karriere macht, wie man es von einem intelligenten Mann erwartet. Max ist ein Kind seiner Zeit. Er durchlebt vier Stationen des Zweiten Weltkriegs, die eindrücklich beschrieben werden. Darüber hinaus werden ethische Diskurse in extrem real geschilderten Situationen verhandelt, welche das Buch zu einem außerordentlichen Roman werden lassen. Von der praktischen Verhandlung der Extremismustheorie bis hin zum Kriminalroman ist so ziemlich alles vorhanden: Menschliche Abgründe, Sehnsüchte, Liebe, Sex, Macht und immer die Suche nach dem eigenen privaten Glück. Auf 1359 Seiten (sic!) nimmt Littell seine Leserschaft mit auf die Reise in eine Zeit, die niemand von uns erleben möchte. Tun wir alle unser Bestes!

  • Gelesen im September und Oktober 2017
  • Großartige Empfehlung von Jens und herzlichen Dank dafür! Eine durchaus gegenteilige Meinung finden Sie in der Süddeutschen.

3 Antworten auf „‚Die Wohlgesinnten‘ von Jonathan Littell

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