Ein elegantes Restaurant, gedämpftes Licht, das Besteck exakt gefaltet auf Stoffservietten. Zwei Brüder und ihre Ehefrauen treffen sich zum Abendessen. Vorfreude ist nicht vorhanden. Der Anlass: heikel. Ihre Söhne sind, man munkelt und interpretiert, übers Ziel hinausgeschossen. Weit wohlmöglich und haben etwas getan, das Konsequenzen verlangt. Doch statt klarer Worte serviert man sich überteuerte Amuse-Gueules und Ausflüchte. Die Konversation gleitet beiläufig ins Unangenehme, dann ins Abgründige. Zwischen dem Aperitif, einer griechischen Olive von der Peleponnes als Gruß aus der Küche, gekrönt mit einem Blatt Basilikum aus dem eigenen Vorgarten, dem Hauptgang und einem Dessert verschwimmen moralische Grenzen wie Weißweinflecken auf weißem Porzellan.
Paul Lohmann (Ulrich Matthes) gibt als ehemalige Lehrer den still brodelnden Skeptiker mit trockenem Witz und zunehmender Gereiztheit. Sein Bruder Serge (Bernd Moss), mit besten Aussichten die Premierministerwahlen zu gewinnen, bemüht sich um Contenance. Ihre Frauen Claire (Maren Eggert) und Babette (Wiebke Mollenhauer) balancieren zwischen Loyalität und Eigennutz, grotesker Kälter und Warmherzigkeit. Was als zivilisiertes Abendessen beginnt, wird zur Zerreißprobe. Familie als Verantwortungsgemeinschaft, die sich zwischen öffentlichem Ansehen, innerer Haltung und Egozentrismus auseinanderdividiert.
Linke Politiker mit rechtem Denken und bürgerlichen Krankheiten. András Dömötör inszeniert ‚Das Dinner‘ am Deutschen Theater Berlin mit Gespür für feine Pointen. Das macht Freude, denn Konsum und Zeitgeist prallen mit jedem weiteren Gang auf geronnene Ethik und Recht. „Das wird kein schöner Abend“, sagt Claire, und sie wird teilweise recht behalten. Die Szenen wirken gestückelt und ausgestellt. Die Vorlage von Herman Koch böte reichlich Stoff, der dramaturgisch bearbeitet und zusammengefasst werden sollte, ohne dass der eigene süffisante Ton mit opakem Subtext verloren geht. Dies gelingt nur bedingt.
Ann-Christine Müller hat ihr Bühnenbild im Stil eines modernen Restaurants konzipiert. Zwischen kühler Noblesse im bedeutungsvollen Vordergrund wechseln die Szenen, durch eine Glasscheibe getrennt, mit dem Abseitigen dahinter. Doch womit will Dömötör aufrütteln, aufwecken? Dem verhältnismäßig völlig abwegigen und verachtenswerten Impuls, eine obdachlose Frau in einem Geltautomatenhäuschen zu töten? Oder der Ruchlosigkeit, mit Geld und konsequenzvoller Untätigkeit alles bei Seite schieben zu können? Diese Diskussion wird leider zu fragmentarisch geführt, womit die Inszenierung ihr geistreiches Versprechen verschenkt, einzulösen.
Gerettet wird der Abend allen voran durch Ulrich Matthes. Mühelos wechselt er zwischen Ironie und kontrolliertem Furor. Auch Maren Eggert überzeugt im Wechselspiel mit emotionaler Dichte. Zusammen schaffen sie Momente, in denen der Text atmet und eruptiv überschäumt wie geschüttelter Champagner rosé. Insgesamt bleibt ‚Das Dinner‘ jedoch eine lauwarme Angelegenheit. Am Ende wirkt die Inszenierung nur einen Nachtisch lang nach und steht damit in gewisser Weise auch beispielhaft für die nun endende Spielzeit 2024/25.
- Gesehen am 20. Juli 2025
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.
Moin Michael!
Das Stück „pur“ klingt total spannend und würde mich durchaus reizen. Die Inszenierung scheint aber – wenn ich Deine Worte richtig interpretiere – etwas über das Ziel hinausgeschossen zu sein, indem „sozialkritische“ Szenen „mit Botschaft“ am Rand stattfanden. Warum? Hatte das Stück selbst nicht genügend Kraft?
Gruß
Andreas
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Hallo Andreas,
danke dir für deinen Kommentar. Es hat Spaß gemacht, das Spiel zu sehen – ganz klar. Aber die einzelnen Szenen waren, auf das ganze Stück bezogen, wenig dialogisch. Lapidar gesprochen, hätte ich mir gewünscht, dass etwas mehr die Fetzen fliegen. Dass alles ein wenig spektakulärer wird. Es war schon sehr brav und mir zu bürgerlich. Hätten sich die Protagonist:innen mehr mit sich beschäftigt – als einfaches Kammerstück vielleicht – wäre es für mich schneller, schlagfertiger und damit stimmiger gewesen.
Viele Grüße
Michael
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