‚Das Liebespaar des Jahrhunderts‘ von Julia Schoch

Es ist beschlossen: Ich verlasse dich. Mit diesem Worten werden unsere Jahre enden. Mit drei Worten hat alles begonnen – drei Worte, die das Ende markieren. Wenn ich unseren ersten Sommer erinnere: Der braune VW Jetta mit dem wir über Landstraßen durch Felden und Wälder fuhren zu den schönsten Seen, die wir aus unserer Kindheit kannten. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätten wir uns wohlmöglich niemals kennengelernt. Dein Vater, ein Künstler, der die DDR als Antipode für sein Schaffen brauchte. Mein Vater, ein Offizier, der sich erstaunlich schnell im neuen System zurechtfand.

Jedenfalls, an der Uni trafen wir uns, du bildhübscher Mann. Dass du mich ausgewählt hast, hatte ich nie verstanden. Auch deine klare Haltung nicht, obwohl dein Eigensinn mich sprachlos machte, insgeheim beeindruckte. Waren die Kinder eigentlich dein Wunsch? Wieso wollten wir welche? War nicht alles gut, so wie es war? Nur wir, wir beide und unsere Zukunft? Ich wünschte, ich könnte unsere Geschichte ohne die Kinder erzählen. Wichtig wurde dir schließlich die Karriere. Mein Schreiben war dir deiner Tätigkeit im Institut nie ebenbürtig. Irgendwann hörte ich einfach weg. Beim Abendbrot, an den Wochenenden, im Urlaub sowieso.

„Zu Beginn ist alles einfach. Dann wird alles schwer. Warum wird alles schwer, wenn es vorher einfach war? Dass es so ist, hört sich an wie eine Gesetzmäßigkeit. Es wäre schön, wenn es eine wäre. Dann müsste man es hinnehmen.“ (S. 99)

Keine Resignation, kein Bedauern, sondern die nüchterne Rekonstruktion, der Blick zurück, als der namenlose Antagonist mit Vanilletee im sechsten Stock des Wohnblocks der Stadtrandsiedlung steht und die namenlose Protagonistin die Tür öffnet. Erwartet hatte sie ihn – die folgenden 30 Jahre nicht.

Julia Schoch hat im zweiten Teil ihrer Biografie einer Frau ein titelgebendes Liebespaar ins Zentrum gestellt. Aus Perspektive der Ich-Erzählerin wird ausgeleuchtet, hingeschaut auf jede Etappe ihrer Beziehung. Erinnerungen als Wahrheit wie Fotografien als gebannte Realität ungleicher Partner:innen. Sie, grübelnd und zu ihm aufblickend. Er, gedankenverloren, der um seiner selbst weiß. Ohne ausgesprochene Abhängigkeit verharrt die Protagonistin in ihrer selbstgewählten Unfreiheit, die Wut hervorruft, Aggressionen anstauen lässt bis hin zum Realisieren, zum Eingestehen, zum Erkennen und Aussprechen, dass wieder etwas vorbei sei.

Wovon Julia Schoch in ihrem Roman ‚Das Liebespaar des Jahrhunderts‘ erzählt, mag banal erscheinen. Das Gegenteil ist der Fall. Mit scharfem Blick sieht die Autorin hin, während das noch junge Paar die ersten Schritte geht. Skizziert präzise vor, was erst Jahre später mit Farbe gefüllt wird. Straffiert mit dünnen Linien all jene Flächen einer Beziehung, die zu grauen, leeren Zwischenräume werden ohne – wie die Protagonistin richtig feststellt – einer Gesetzmäßigkeit zu folgen.

‚Das Liebespaar des Jahrhunderts‘ ist der zweite Teil einer auto-fiktionalen Biografie, der völlig ohne den ersten auskommt. Der reiche Stoff braucht keine Bezüge – wozu auch. Die Metamorphose einer Beziehung durch die Schablone epochaler Umwälzungen im Großen am Rande und im Kleinen im Zentrum sind Motor und Schwungrad genug. Wie man Dauer (einer Beziehung) erzählen kann, beweist Julia Schoch auf 191 Seiten. Treu bleibt sie sich zugleich in Tempo und Rhythmus, die so zäh fließen und Jahre wegträgen wie Stromschnellen der fast stehend mäandernden Havel. Apropos Havel! Es ist gut, dass Potsdam konsequent Handlungsort in Schochs Romanen bleibt. Die Regale sind voll mit Berliner Pirouettenschlägerei.

  • Gelesen im Dezember 2023
  • Ein Roman, der schon zu lange auf Halde lag nach der Veröffentlichung vor knapp einem Jahr. Auf ihn gewartet habe ich nicht.

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