Drei Friendys im heißen Sommer. Pina, Alex und Tom sind auf dem Weg nach draußen. Draußen heißt heute chilly chill am See irgendwo nördlich der Stadt. Alex‘ Friendys haben zur Topless-Party geladen, weg mit den Shirts und stolz sein auf sich, auf das innere Draußen. Alex, mitten in der Transition, die OP erst wenige Woche zurück. Sie radeln raus, kommen an, sehen die Crowd. Empfangen werden sie stürmisch. Tom zieht es vor, Alex und Pina in der großen Gruppe alleinzulassen. Untertauchen im Wasser, die Gedanken abkühlen. Seit dem Ende seiner Therapie fühlt Tom oft Leere – wieso eigentlich? Was ist anders? Alles und nichts.
Als Tom auftaucht, klingt eine Stimme neben ihm. Ein aufgeblasener Schwimmreifen mit einem Mann. Nackt, dey wirkt bei sich, reicht Tom die Sportzigarette. Glitzern auf dem Wasser, Leuchten in Ninos Augen, den er kennenlernt, als etwas abseits der Abend ganz andere Wendungen nimmt.
„Hier am Neuköllner Ring, in einem kleinen Industriegebiet hinter einem bumms-neoliberalen Konferenzhotel, sammelte sich alles an, was sich an der Oberfläche des Berliner Untergrunds nicht mehr richtig wohlfühlte, wo Homo und Hetero wie Antiquitäten gehandelt wurden und alle angezogen waren, als wären sie bei einem Dreh für einen Teenie-Film der frühen Nuller-Jahre.“ (S. 94)
Drei Millennials, deren überhitze Leben den Reset-Button drücken. Anhalten für den Neustart. Change your life, baby, und Alex, Tom und Pina nehmen Anlauf für den Sprung ins kalte Wasser. Kevin Junk bleibt in seinem zweiten Roman ‚Saturns Sommer‘ seinem Sujet treu. Mit Berlin als große Bühne bereitet er Räume für gelebte Offenheit und Diskurse der Protagonist:innen, die wichtig und weiter sind als anderswo. Während ‚Fromme Wölfe‘ eskapistisch das Leben unter Wasser ergründet, richtet Junk den Blick aufs Schwimmen. Freischwimmen von Altlasten. Ballast abwerfen. Ob die Trauer über einen viel zu frühen Verlust oder die Erkenntnis, Nähe zu wollen, zu brauchen. Nicht der Blowjob im Club, sondern die aufrichtige Verbindung zwischen Menschen, deren Kern auf gegenseitige Verantwortung, Vertrauen und Liebe gründet. Oder der feste Entschluss, dem toxischen Kackscheiß im Job Adieu zu sagen und Tag für Tag zu kämpfen, um aufzustehen und neu anzufangen.
‚Saturns Sommer‘ sind 244 Seiten Sommerliebe zu sich selbst. In seinem zweiten Roman entwirft Kevin Junk ein Kaleidoskop innerer wie gesellschaftspolitischer Debatten, die fiktional der Vorlage in Ton, Inhalt und Form im besten Sinne ähneln. ‚Saturns Sommer‘ ist ein Roman, der ohne Vorschlaghammer durch Betroffenheit der Protagonist:innen sensibilisiert. Der rührt sowohl durch innerer Stärke und Haltung als auch der Relevanz der kleinen Ersatzfamilie als Anker und Resonanzraum. Ein Roman, der die Selbstbehauptung seiner Charaktere ins Zentrum montiert. Der tanzt, feiert, singt und die aufgekratzte Stadt etwas runterkühlt im heißen, heißen Sommer.
- Gelesen im Juni 2023
- Ein Zufallsfund als Empfehlung im Newsletter von Prinz Eisenherz. Ich danke euch!