‚Der Sandkasten‘ von Christoph Peters

Kurt Siebenstädter ist die Stimme am Morgen. Als versierter Radiomoderator nimmt er tagtäglich von fünf bis neun kein Blatt vor den Mund. Auch wenn die Nächte früh enden, bisweilen kurz sind, Schiebenstädter fühlt sich als Journalist der Wahrheit und Neutralität verpflichtet. In diesen Zeiten kein leichtes Unterfangen bedankt man, dass die Republik dem zweiten Lockdown entgegentaumelt. Der Gesundheitsminister laviert noch, aber sein Kontrahent der Sozialdemokraten ist fest entschlossen, noch dazu versierter und beliebter als der Amtsinhaber. Guten Morgen, Herr Gesundheitsminister. Siebenstädter kennt alle Geschichten und schmiert sie ihnen aufs Brot zur Primetime am Morgen.

Woher nimmt er noch immer die Energie, fragt er sich. Zur Unzeit aufzustehen und zur Tram zu laufen, um ins Studio zu fahren? Ingrid wird der Grund nicht sein. Berufliche Genugtuung und Erfolg – eine glückliche Ehe mit Kind und Eigentumswohnung im Privatem? Gleichzeitig fast ausgeschlossen, denn Seiten der gleichen Medaille haben unangenehme Widerhaken. Borsten, die zu reiben beginnen, jucken, irgendwann kratzen bis der Schmerz unerträglich wird. Siebenstädter hadert. Fragt sich: Was soll der Popanz? Dieses Spiel zwischen Politik, Wirtschaft, Vertrauten und ihm als Instanz der vierten Gewalt, als Stimme am Morgen. Siebenstädter, ein weißer Mann Mitte 50, von seiner Tochter als alt belächelt und einer Welt beäugt, die sich weiter dreht. Aber nicht mehr um ihn.

„In Wahrheit glaubte er nichts und letztlich nicht einmal das. Was nach seiner Überzeugung aussah, hielt gerade so lange, wie der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung mit albernen Mätzchen versuchte, ihm, stellvertretend für Parteigänger und Gegner, Gläubige und Ungläubige, rhetorische Pirouetten als politische Agenda zu verkaufen.“ (S. 19)

Das politische Berlin als großer Spielplatz der Mächtigen und Selbstermächtigten. Mittendrin Kurt Siebenstädter, Ich-Erzähler und Protagonist in Christoph Peters Roman ‚Der Sandkasten‘, der anschaulich wechselseitige Dependenzen im Zentrum der Macht verhandelt. Im Mittelpunkt steht der Radiojournalist Kurt Siebenstädter, dem mehr und mehr die Sinnhaftigkeit seines Tuns fragwürdig erscheint. Einfluss, Narzissmus, Frauen und Macht – vieles erreicht, viele Wünsche befriedigt. Auf 251 Seiten verkörpert Siebenstädter einen durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse bröckelnden Fels. Selten dafür, immer skeptisch, oft dagegen aus Prinzip. Stoff genug für einen Politikroman, der auch als Politikdrams durchgehen könnte?

Sprachlich oszilliert Peters zwischen Stakkato und weitläufigen Passagen, die nie langweilig, geschweige denn redundant werden. Ein Roman also, der durch Varianz und Tempi zeitgemäß kontemporäre Inhalte verhandelt. Gleichzeitig erweckt die Lektüre den Eindruck, Plagiat schnöder Realität zu sein. Gedruckte Zeitgenossenschaft in Romanform. Wo bleibt der literarische, der künstlerische Mehrwert, wenn Protagonist:innen ihren Vorbildern bis auf die Haarspitzen gleichen. Diese Feststellung zieht sich als roter Faden durch alle Kapitel, was dem Ganzen irgendwie den Reiz nimmt aufgrund lapidarer Vorhersehbarkeit.

Gleichwohl ist ‚Der Sandkasten‘ ein Roman, der keineswegs banal oder langweilig ist. Formal ganz klassisch verfasst, macht es durchaus Spaß, Kurt beim Suhlen im Selbstmitleid zu beobachten. Ob das genügt für eine Empfehlung fällt mir schwer, mit Entschiedenheit zu formulieren. Wahrscheinlich nicht.

  • Gelesen im Mai 2023
  • Herzlichen Dank an den Luchterhand Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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