Achtung, Theater! – ‚Status quo‘ an der Schaubühne

Alle kennen die Situation. Ein fester Händedruck zur Begrüßung? Oder besser freundlich, interessiert, natürlich zugewandt? Hallo, ich bin Florian. Freut mich, Sie kennenzulernen. Die ersten fünf Sekunden entscheiden über Sympathie – bei Vorstellungsgesprächen umso wichtiger. Florian hat viel Glück in dieser dürftigen Zeit. Alle Gespräche verlaufen zur vollsten Zufriedenheit: als Immobilienmarker, als Drogeriefachangestellter in Ausbildung, als rising star an einem Theater. Mit Reizen nicht geizen ist seine Devise und Flo – Ich heiße Florian! – kann Augenaufschlag, hat Hüftschwung, hat Esprit, wenn Not am Mann ist in der Frauendomäne.

Rollentausch auf halber Rundbühne mit Sang und Klang und Tempo aller Orten. Florians blaue Augen – Ich dachte jeder Florian wäre ein Flo? –, sein blauer Pulli, die kurzen Hosen und die Haare, so seidig. Nehmen Sie Spülung? Männer sollten dezent sein, ruft die Drogeriemarktleiterin Florian hinterher, als sie im Lager, zu zweit, unbeobachtet, sexuell übergriffig ihren Auszubildenden unter ihre – Achtung O-Ton – dicken Wurstfinger nimmt. Ein stereotypes Spiegelbild der Geschlechterrollen präsentiert Maja Zade an der Berliner Schaubühne, das überraschend gefällig die 135 Minuten im Rausch der Klischees verfliegen lässt.

Kein großes Drama, selten Geschrei. ‚Status quo‘ sind drei Geschichten des süßen Flos, der sich zu behaupten versucht in einer matriarchalen Welt. Maja Zade und Team haben kopfüber den Frauen die Zepter in ihre Hände gedrückt und diese Männer, mal stark, mal verletzlich, mal kokett, gern auch mal leicht unterwürfig charmant auf die Plätz verwiesen. Wer die Frage stellt, welches Anliegen, welche Aussage die am 18. Januar 2019 uraufgeführte Arbeit verhandelt, braucht wenig zum Verständnis der kurzweiligen Unterhaltungsshow. Untypisch für die Schaubühne und gerade deshalb wohlige Erfrischung nach einem langen, grauen Berliner Winter, hetzt Zade das Ensemble kunterbunt von Szenenwechsel zur nächsten Pointe. Magda Willis Bühnenbild, eine doppelstöckige offene Wand mit Kammern und behangenen Räumen, strukturiert die schnellen Schnitte zwischen den Szenen, das insbesondere Moritz Gottwald und Jule Böwe hervorragend bespielen. Sie ergreifen Besitz: vom Stoff, ihren Rollen, von sich im Stelldichein der leichten Unterhaltungsmusik.

‚Status quo‘ ist eine Arbeit, die als Vorabendserie wirklich alle gut erreicht. Vor diesem Hintergrund stört es auch wenig, wenn ein theaterfernes Publikum im freudigen Gelächter alle Versuche unterlässt, Hintergründiges zu suchen und zu erfragen. Denn andererseits wird alles ausgesprochen, alles ausgespielt, alles häppchenweise mundgerecht serviert. Der Anspruch, Geschlechterrollen zu dechiffrieren und offenzulegen, wie machtvolle Interdependenzen Gesellschaft konstituieren, lässt Ernsthaftigkeit und Zwischentöne oft zwischen Jux und Tollerei vermissen.

Vielleicht muss Theater – auch an der Schaubühne – nicht immer das Große verhandeln. Vielleicht stillt pseudoprovokante Unterhaltung den Konsumwunsch der Stunde mit Abziehbildern statt realen Personen. Die Musik spielt, die Bühne dreht, die Szenen fliegen und das Publikum lacht. Wer Zerstreuung möchte und einen fröhlichen, wenig kratzbürstigen Theaterabend mit Tiefgang, ist bei ‚Status quo‘ an der richtigen Adresse: Kurfürstendamm 153 kurz vor Halensee.

  • Gesehen am 25. März 2023
  • Diesmal ohne Stimme der Nachtkritik.

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