‚Geschichte des politischen Denkens‘ von Manfred Brocker

Heute möchte ich Ihnen ein für meinen Blog unorthodoxes Buch vorstellen. Ein Handbuch, einen Sammelband für jede Lebenslage. In unklaren Zeiten kann es hilfreich sein, sich die Grundlagen unseres Gemeinwesens wiederholt bewusst zu machen. Dem geistigen Fundament und seiner Entwicklungslinien wie auch dem Kern demokratischer Gesellschaften: dem Widerstreit und dem Konsens, dem Wettbewerb der Ideen. Nur wenige Bücher bewohnen bereits seit Studienbeginn meine kleine Bibliothek und wurden gleichzeitig so oft gelesen. Vor diesem Hintergrund lege ich Ihnen die „Geschichte des politischen Denkens“, herausgegeben von Manfred Brocker, wärmstens ans Herz.

Brocker lässt auf 822 Seiten 2500 Jahre Ideengeschichte aufleben. 53 Beiträge von Autorinnen und Autoren der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie verfasst, führen ein in die Welt kluger Menschen Gedanken. Einer Gedankenwelt, deren Konzepte mittel- und unmittelbar unsere Weltsicht prägten, geradezu unser Verständnis vom politischen und gesellschaftlichen Kosmos konstituierten. Alle Beiträge folgen chronologisch ihrer Theorie der Entstehung nach. Kompakt und verständlich, in gewisser Weise aufeinander aufbauend, tauchen wir hinab in die Antike von Platon und Cicero, wandern gemeinsam mit dem christlichen Denker Thomas von Aquin weiter zum Brunch mit Niccolò Machiavelli in die frühe Neuzeit. Wir trinken Kaffee mit Montesquieu, David Hume und Adam Smith, verdauen Hegel leider nur schwer und streiten mit Alexis de Tocquville und John Stuart Mill über die Freiheit. Wir begegnen Marx und Lenin visionär und revolutionär und später auch Carl Schmidt, der im Garten vor Adornos Laube vertieft mit Hannah Arendt streitet. Schließlich sitzen wir mit John Rawls und Michel Foucault am Abendtisch, an dem Niklas Luhmann gerade Ulrich Beck dessen Risikogesellschaft vom Butterbrot nimmt. Und Jürgen Habermas? Jürgen Habermas gießt Rotwein in leere Debattengläser und weint.

Zu viel Namedropping im Gartenwäldchen der Philosophie? Keine Bange! Nun, zwangsläufig unterscheiden sich alle Beiträge in Länge, Diktion und Verständlichkeit. Besonders erfreulich ist gerade deshalb die Tatsache, dass die „Geschichte des politischen Denkens“ sich sowohl für Erstsemester prima eignet als auch im Literaturverzeichnis von Absolventen keineswegs fehlen sollte. Denn dieses Handbuch ist ein Handbuch für entschleunigte Businessfrauen im Homeoffice. Für Großstädter, die nicht ohne Grund die Käffer ihrer Kindheit verließen. Für jene, die es unangemessen finden, wie der Staat Art und Weise allgemeiner Handhygiene diktiert. Ein Handbuch also für mündige Bürgerinnen und Bürger im besten Sinne. Ich wünsche viel Vergnügen beim Lustwandeln im Gartenwäldchen der Ideen und der Vernunft. Santé!

  • Gelesen seit Oktober 2008
  • Herzlichen Dank an meinem damaligen Dozenten.

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