Als Mutti die Raute zu ihrem Wappen wählte, wusste sie warum. Sie ist Physikerin. Sicher erkannte sie den diskursiven Charakter sofort. #Hashtag als Debattenrevolution? Von wegen Neuland! Mutti war cool, Mutti ist cool und Mutti wird cool sein. #Yolo Zugegebenermaßen wissen wir nicht, ob Peter Tauber und die Kanzlerin tatsächlich durch Frau Merkels Zeichensprache einen Beitrag zur Medienkultur leisten wollten. Was wir aber wissen, ist, dass Frau Merkels Raute zur ikonenhaften Marke wurde. Zur Marke für sie – inhaltsleer und inhaltsschwanger gleichermaßen. #StateOfTheArt
Innovativ bedient sich die Kanzlerin eines neuen Werbeinstruments: dem Hashtag Marketing. Sie wissen nicht, worum es sich handelt? Andreas Bernard erklärt es Ihnen: umfassend, präzises, historisch aufschlussreich. Sein 82 Seiten umfassender Essay ist weit mehr als deskriptiv. Schlank greift er vieles auf, kontextualisiert und verknüpft Inhalte verschiedener Disziplinen. Anfänglich diente der Hashtag beispielsweise, wie Bernard schreibt, in erster Linie als Schlagwort. Welchen Zweck erfüllen Schlagwörter? Sie kategorisieren und systematisieren. Ein Hashtag, wie wir ihn kennen, tut das nicht. Er wird Wissensbestand. Er ist „Index und Parole zugleich“ (S. 45.). Für den Autor ist der Hashtag dadurch Ausdruck des demokratischen Internets an sich und kehrt paradoxerweise zur konventionellen Kategoriefunktion als Schlagwort zurück.
Sie können schwer folgen? Keine Bange, denn Andreas Bernard erläutert wunderbar luzide, woraus seiner Meinung nach das Kernelement für digitales Kampagnenpotential besteht. Wieso Hashtag Activism und neoliberale Selbstvermarktung zwei Seiten derselben Medaille sind. Und weshalb trotz diskursiver Demokratisierung plurale Inhalte dennoch – oder gerade deswegen – nivelliert werden.
‚Das Diktat des #hashtags‘ ist ein aufschlussreicher Essay, der keineswegs nur im akademischen Adressatenkreis seine Leserschaft sucht. Bernard zieht sprachlich gelungenen einen Zirkelschluss vom Symbol zum Schlagwort zur Syntax zum Symbol. Stringent geht er der Metamorphose eines Zeichens nach und legt diskursive Wechselwirkungen allgemeinverständlich offen. Liebe Jünger Foucaults und Influencer mit Freude am Nachdenken, liebe Freunde, meine Empfehlung: #Lesen!
- Gelesen im Januar 2019
- Sehr netter Zufallsfund in der Buchbox, Lette-, Ecke Schliemannstraße in P-Berg.