Liebe ist Antrieb, nicht Ziel. Viele wissen das nicht. Frei nach Alice sozusagen. Und frei nach Trotzki. Liebe ist Produktivkraft! Überhaupt ist Liebe ein wichtiges Thema. Für den Autor, für mich, aber insbesondere für Nathan, unseren Protagonisten. Und Alice, zeitweilige Antagonistin zu Nathan in Studienzeiten, bevor Beate (zweite Ehefrau) und Christa (langjährige Geliebte) ihre Rolle einnehmen. In jeder Hinsicht prägen reichlich Frauen Nathans Lebenssujet. Hannah, seine Therapeutin. Martina, seine erste Ehefrau. Traude, seine Sekretärin. Seine Mutter, die die gemischte Liebe liebt, eine fragwürdige Bücherklassifikation für drittklassige Groschenromane. Ihnen gegenüber steht Franz, Alice‘ früherer Nebenbuhler. Franz ist Ratgeber, ist Freund auf freundschaftlichem Schau- und beruflichem Tummelplatz. Denn Nathan und Franz sind Kollegen bei der Zeitung, Redaktion Leben. Bis eines Tages Beate – Nathans zweite Ehefrau – Chairwoman wird und Nathan seiner beruflichen Pflichten entbunden.
‚Die Erziehung der Lust‘ ist Untertitel des Romans und gleichermaßen Mission Statement auf Nathans Weg zum Glück. Nathan bildet eine Art österreichischen Median der mittleren Mittelschicht. Als Sohn eines Genuss- und Lebemenschen und seiner einigermaßen unglücklichen Mutter auf der Suche nach dem dritten Frühling und einem guten Stiefvater für ihren Sohn, fehlt Nathan die Fähigkeit, zu genießen und Nein zu sagen. Unbeschwert, geradezu liebevoll vermag es Robert Menasse, diesem verkorksten Nathan ein Herz und ein Gesicht zu geben, das mehr als liebenswert ist. Mit Grübchen beim Lächeln! Mit all seinen Volten und Schrullen an weinseligen Abenden und den Frauen, die nicht weniger in den Arm genommen werden wollen, als er. Von einem Mann, der attraktiv ist. Von Nathan – noch wenig übergewichtig und vollem Haar. Menasses ‚Don Juan‘ ist ein Dompteur des Wiener Lebens, der liebt, weint, lacht, zu genießen versucht und wieder liebt, trinkt, weint und lacht. À votre Santé!
Auf 273 Seiten liegt Nathan buchstäblich auf der Couch, während der Leser und Hannah den Ausführungen des Ich-Erzählers lauschen. Nicht gleich erschließt sich die Romanstruktur, was in Ordnung ist. Unverhohlen komisch spielt der Autor dafür die Klaviatur präziser Sprache und scharfen Pointen, ohne plump zu viel preiszugeben. Nathans Leben gerät dabei zum Meisterstück des guten Lebens. Zum Median Österreichs, ohne mittelmäßig zu sein! In der Redaktion Leben, der Komfortzone sozialdemokratischer Lebenswirklichkeit. Wem der europäische Politikbetrieb zu trubelig ist, kann es getrost mit Wiener Leichtigkeit versuchen, ohne sprachlich Abstriche hinnehmen zu müssen. ‚Don Juan de la Mancha‘ ist ein Liebeslied auf das Leben, auf überraschende Umwege, auf das Recht auf Leichtigkeit und das Recht auf Scheitern. Ein unkitschiger Lovesong an die Liebe, die nach zwei, drei Umwegen auf ihre Umarmung wartet.
- Gelesen im Dezember 2018
- Zufallsfund im Kulturkaufhaus für den schnellen, schlanken Advent.