Achtung, Theater! – ‚Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!‘ im Deutschen Theater

Let Them Eat Money sind Aktivisten, ein Kollektiv. Böse Zungen behaupten – davon gibt es viele –, Terroristen. Aber gute. Terroristen gegen die, die es verdient haben. Rappo Rosser (Paul Grill) beispielsweise, Chef des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Oder Franca Roloeg (Susanne-Marie Wrage), Kommissarin für Arbeit und Soziales der Europäischen (Nord-)Union. Oder Frerich Konnst (Jörg Pose), Chef der EZB. Weshalb? Aus Idealismus, aus Verzweiflung, aus Notwehr! Und womit? Mit Recht!

Oskar Lafontaines Wunsch nach einem Europa der zwei Geschwindigkeiten tritt ein. Nur leider mit desaströsem Ausgang für 600 Millionen Menschen. Und den Flüchtlingen – Millionen von Flüchtlingen wegen anhaltender Dürre und Hungersnöten. Die Lösung? Exterritoriale Inseln von den Küsten Europas. Die Visionäre, die Mutigen, die Vermögenden können als Shareholder Anteile und dadurch lebenslanges Inselglück erwerben. Was das bedeutet? Den Sieg des Kommunismus – marktradikal und ohne Haltelinien. Der obsolete Staat wird desavouiert und ist gleichzeitig sein eigener Totengräber. Interessante Nebenfolge: Ohne Staat auch keine Verfassung, keine staatlich garantierten Grundrechte. Der geschlossene Kontrakt zwischen Insel-Company und Shareholdern ist rein wirtschaftlich. Laut AGBs zum Wohl der ökonomisierten Wissenschaft und medizinische Kybernetik zweiter Ordnung.

Als 2023 Italien die Europäische Union verlässt und das Bedingungslose Grundeinkommens eingeführt wird, rutscht der EU-Rating-Status auf Ramsch-Niveau. An dieser Stelle setzt Andres Veiels partizipatives Theaterprojekt an, was Weniges unausgesprochen lässt. Eine schonungslose Dystopie, in der der Mensch mit 2500 Jahren Kulturgeschichte bricht. Hobbes, Montesquieu, Kant – Tabula rasa. Das technische Fortschrittsversprechen ist ins Gegenteil verkehrt. Den Rechtsstaat gibt es nicht mehr. Lasst die Follower entscheiden – per Online-Voting. Live! Und so inszeniert Veiel eine Verhörsituation, in welcher der Untergang der Alten Welt verhandelt wird. China go ahead!

Im Ergebnis wenig erbaulich, dafür intellektuell komplex und theatralisch ansprechend, wird mit klugem Technikeinsatz das hohe Lied des Kulturpessimismus angestimmt. Das verfängt! Kraftvolles Spiel mit stimmigem Ensembles fesselt die Aufmerksamkeit des Publikums ohne Effekthascherei. Es sind die Moll-Töne, die dunklen Farben, der selbst verschuldete Kollaps, die die 90 Minuten auf gefühlt 45 abschmelzen lassen. ‚Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!‘ ist ein Appell an die Protagonisten – an uns! Mein Fazit: Ausgezeichnetes Studentenfutter für den Kopf. Handwerklich sauberes, ansprechendes Theater, das viel will und Vieles fragend transportiert. Für diejenigen ohne AB-Umweltkarte der Hinweis: ‚Die kommenden Tage‘ von Lars Kraume sind als cineastisches Äquivalent geradezu alternativlos.

  • Gesehen am 15. Dezember 2018
  • Hier die Stimme der Nachtkritik.
  • Vielen Dank Andreas für den hoffnungsfrohen Theaterabend.

 

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