Achtung, Theater! – ‚Publikumsbeschimpfung‘ im Deutschen Theater

Als Claus Peymann im vergangenen Jahr – endlich – zum Spielzeitende in den Ruhestand versetzt wurde, jubelte die Kulturhauptstadt Berlin. Als 1966 Peter Handkes ‚Publikumsbeschimpfung‘ uraufgeführt wurde, jubelte das brodelnde Frankfurt. Denn: Sie sind das Thema! Wir sind das Thema, wie der Autor schreibt und sich selbst durch die Schauspieler sprechen lässt. Sie spielen nicht. Sie sprechen. Sie spielen keine Rollen – Zwischenruf: Doch! *Gelächter* – sie sind sie selbst. Denn wir sind das Thema! In diesem Stück aus Einheit von Zeit, Handlung und Raum, das damit zu einem klassischen wird. Zum klassischen Stück, wie die alten Dramen. Die Ähnlichkeit zu Sophokles ist frappierend.

Geradezu klassisch ist auch Martin Laberenz‘ Inszenierung und bleibt damit der strukturkonservativen Tradition am Deutschen Theaters treu. Die Koproduktion mit dem Schauspielhaus Stuttgart, eine von Peymanns alten Wirkungsstätten, besticht durch eine geradezu allgemeingültige Interpretation. Man könnte sagen: Ein mustergültiger Handke mustergültig und dadurch wenig inspirierend – eben klassisch ausgelegt – auf die Bühne gebracht. Was keineswegs mit Langeweile zu verwechseln ist. Laberenz gibt den Protagonisten den nötigen Raum. Sie sind das Thema! Oder wir?

„Ich überbrücke mal“, begann Peter René Lüdicke. Einen Joghurtbecher öffnend, fabuliert er essend über seine heimliche Leidenschaft. Er sammelt Tassen. Er berichtet davon, wie er vom ersten Sammlerstück zum zweiten kam und dass darauf das dritte folgte. Man glaubt es kaum! Er spricht davon, wie er sich verschuldet und die Sparkassenangestellte mit ihm ausgeht. Essen, ins Konzert, Kino. „Die weiß zu viel!“ 1966 wussten eine Menge der Besucher im Theater am Turm (zu) viel: „Haben die die Nazifahne rausgeholt? *Kopfschütteln, Gelächter* Die gehört doch gar nicht in dieses Stück!“

Handke klassisch, klassisch inszeniert. Und so darf natürlich der Videoeinspieler nicht fehlen, welcher – dem Hessischen Rundfunkt sei Dank – Ausschnitte der Uraufführung zeigt. Auch wenn der Zweck über reine Unterhaltung hinausgeht, hätte der Exkurs in Theater- und Fernsehgeschichte dem Publikum erspart bleiben sollen. Ebenso wie das Bühnenbild an sich, das im dritten Viertel einer Zeitmaschine gleich, blitzend zur Leinwand wird und Augenkrebs verursacht. Ja, das Offensichtliche benennen. Verstanden! Wir sind das Thema! Leider entlarvt die Inszenierung so ihren Mangel an Innovation, der – immerhin – nicht als solcher empfunden wird. Fazit: Stimmiges Ensemble. Unbedingt sehenswert insbesondere auch für Theaterneulinge. Denn: Sie, wir, wir alle sind das Thema!

  • Gesehen am 25. November 2018
  • Hier die Stimme der Nachtkritik.

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