Die Erinnerungen verblassen. Für viele nur noch eine vage Rückschau an die Zeit, als die FDP nicht mehr im Deutschen Bundestag saß und Frauke Petry der AfD vorstand. Es war eine Zeit, in der vieles klar und noch mehr im Umbruch war. Cottbus und Chemnitz lediglich Städte in den Verkehrsmeldungen des DLF und Dresden, Elbflorenz, UsD – Unser schönes Dresden, wie die Eingeborenen sagen – genoss eine Aufmerksamkeit, dass selbst der starke August im königlich sächsischen Himmelreich die Augen verdrehte.
Vor diesem zeithistorischen Hintergrund verfasste Peter Richter einige Essays, die auf Debattenbeiträge in der Reihe Dresdner Reden am Staatsschauspiel Dresden zurückgehen. Und darüber sollten wir dankbar sein, denn Richter, Kulturkorrespondent der SZ in New York, hat sich nicht nur ausgiebig mit den Gründen und Folgen von Pegida und Frauke Petry befasst. Als gebürtiger Dresdner trägt er sozusagen die Stadt genetisch in sich. Selbst die königlich sächsischen Eingeborenen haben das Zutrauen in ihn, stadtsoziologisch zu verstehen, weshalb auch die heute 20-jährigen auf UsD so stolz sind. Obwohl – oder weshalb – ihnen gar nicht bewusst sein mag, dass UsD zu 20 Prozent aus Disneyland und 80 Prozent sozialistische Vorzeigestadt besteht – mit sechsspurigen Straßenschneisen, 20-stöckigen Plattenbauten im Zentrum und abseits der kleinbürgerlichen Quartiere Striesens und östlicher, nur sehr, sehr wenig wirklich altes UsD steht.
Auf seinen 157 Seiten begeht Richter nicht den Fehler, wie ich aus meiner Berliner Altbauwohnung ins Tal zu blicken und überheblich über die Ahnungslosen zu berichten. Zielsicher ergründet Richter Widersprüche, welche die politische Linke in Dresden nicht sieht oder sehen will. Er thematisiert, weshalb Pegida in Dresden entstand, ohne dabei zu verurteilen. Er lässt die zu Worte kommen, die einerseits das Volk sein wollen und andererseits gar nicht begreifen, wer alle noch das Volk sind. Richter gelingt es, mit Humor die nötige Selbstironie denen in den Mund zu legen, die es nötig haben, sich nicht zu ernst zu nehmen – nämlich Allen! Und er geht weit in die Geschichte der Stadt zurück. Richter serviert eine Melange aus dem kulturellen Geist Dresdens, den süßen Marotten und bitteren Befindlichkeiten, ihren Gründen und einem Sahnehäubchen aus königlich sächsischem Habitus und traniger Behäbigkeit.
Lange Rede, kurzer Sinn: ‚Dresden Revisited‘ ist ein ganz ausgezeichnetes Buch, dass alle Dresdenbesucher auf ihrer Fahrt im ICE nach Dresden-Neustadt lesen sollten. Und wenn sie zwei, drei Tage später Dresden-Neustadt auf Gleis 5 in Gegenrichtung verlassen, empfehle ich ’89/90′ unbedingt zur Hand nehmen, um sich mit vielen Dingen und insbesondere den Menschen der Stadt innerlich zu versöhnen. Denn ganz sicher lässt die Stadt sie nicht mehr los. Roland Kaiser singt ganze Konzerte darüber – UsD.
- Gelesen im November 2016
- Ich kann nicht mehr genau benennen, in welcher DLF-Sendung Richters Buch so interessant besprochen wurde, dass ich es unbedingt lesen musste. Zu empfehlen ist jedenfalls dieses Interview aus dem Büchermarkt im DLF vom 31. August 2016.
2 Antworten auf „‚Dresden Revisited‘ von Peter Richter“