Die Ähnlichkeit des heutigen Berlin mit der Stadt der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre ist geradezu frappierend. Die Halbwelt, wie Christopher Isherwood es nennt, ist in vielen Subkulturen ebenso zu Hause, wie die arrivierte Mittelschicht aus Politik und Verwaltung. Die Clublandschaft in Friedrichshain und Neukölln befand sich vor 80 Jahren in Charlottenburg und Schöneberg. Man stelle sich nur vor, wie Wilmersdorfer Witwen in Hinterhöfen Clubs betreiben und sonntags nach der Tagesschau die Nase pudern. Und dennoch wiederholt sich Geschichte nicht – zum Glück – auch wenn ab und an den Eindruck entsteht.
Sprachlich sind die 272 Seiten ein Genuss, der im Duktus an den ‚Fabian‘ von Kästner erinnert. Inhaltlich hat es den Anschein, der Ich-Erzähler besucht zunächst die Eheleute Quangel bei Kaffee und Kuchen, um abends mit Karl Siebrecht eine Tour im neuen Automobil über die Avus zu unternehmen. Die Lichter der großen Stadt auf der einen und die bittere Armut der Trockenmieter auf der andern Seite. Dieses Buch ist nichts für Nostalgiker, sondern vielmehr ein Statement für Liberalität und Offenheit. Berlin ist ein Versprechen für alle Jene, denen das Deutschland außerhalb des S-Bahnrings zum Leben zu wenig ist. Sicher wäre Isherwood gerne länger geblieben!
- Gelesen im September 2018
- Eine indirekte Empfehlung von Arne, die viel zu lange auf Halde lag.