‚Letzte Chance‘ von Robin Alexander

Von der Fortschritts- zur Arbeitskoalition, vom Klempner der Macht zum Kanzler des zweiten Wahlgangs. Auch wenn das Bild der ungewissen, wenn nicht gar stürmischen Zeiten oft bemüht wird, überstrapaziert ist es, mit Blick auf das politische Berlin, keineswegs. Da ist eine liberale Partei, die von einer offenen Feldschlacht träumt und ihre hochmütigen Ergüsse dilettantisch auf Papier ejakuliert; eine Oppositions- und Volkspartei, die hofft, mit losen Versprechen eine Wahl zu gewinnen – obwohl allen, ausnahmslos allen, klar ist, dass diese Versprechen nicht eingelöst werden. Auch bricht diese Partei ohne Not mit dem demokratischen Konsens, mit Faschisten keine gemeinsame Sache zu machen. Sie erzwingt Abstimmungen, die nur Verlierer kennt, ganz gleich mit wem und zu welchem Preis. Und da ist eine Partei, die zwar den Kanzler noch stellt, mit ihm als Kryptonit aber jede Chance auf ein Ergebnis nahe der 20-Prozent-Marke verspielt.

Robin Alexander orchestriert in seinem aktuellen Sachbuch ‚Letzte Chance‘ meine wenigen skizzierten Schlaglichter vor einer großen Scheinwerferkulisse. Als stellvertretender Chefredakteur für Politik bei der WELT gilt Alexander als einer der kundigsten Beobachter der Berliner Republik. Profund und mit unglaublicher Detailschärfe analysiert er auf 375 Seiten die vergangenen dreieinhalb Jahre. Er schließt zeitlich an seinem Buch ‚Machtverfall‘ an und blickt zurück auf die glücklose und vor allem durch politische Zielkonflikte aufgeriebene Ampel-Koalition.

In Anbetracht von beinahe hegemonialen Demokratiefeinden in den Parlamenten vieler Demokratien des Westens lautet seine entscheidende Ausgangsfrage: Gelingt es Friedrich Merz seine – vielleicht historische – Aufgabe für die Bundesrepublik zu erfüllen oder verzettelt er sich im Höhenflug fernab alltagspolitischer Realität?

„Regieren ist Handwerk. Entscheidungen müssen in einer Koalition verabredet, durch Ministerien vorbereitet, im Kabinett beschlossen, im Parlament verabschiedet durch den Bundesrat manövriert und der Öffentlichkeit erklärt werden. Dabei kann viel schiefgehen, wenn Politiker ihr Handwerk nicht beherrschen oder gegeneinander arbeiten.“ (S. 283)

Braucht es 100 Tage Schonzeit für eine erste Bilanz? Robin Alexander verneint. Er arbeitet mit verbrieften Tatsachen aus Merz‘ Vergangenheit und argumentiert mit Hintergründen aus erster Hand. Vermeintlich kluge PR-Aktionen entlarvt Alexander mit erstklassigem journalistischem Handwerk. Dass der Autor die Fehler der Ampel als Schablone der neuen Union-SPD-Koalition gegenüberstellt, ist als analytisches Werkzeug lehrreich und bietet zugleich erkenntnisreiche Lesefreude. An manchen Stellen verliert sich der Autor allerdings. Insbesondere das vierte Kapitel wirkt inhaltlich dünn, da sich das Allermeiste aus einer Rückschau auf die Ampel speist und nützliche Ableitungen für die junge Koalition unterbleiben.

‚Letzte Chance‘ ist alles andere als ein Manifest oder eine Mahnschrift. Jedoch geht Alexander hat mit den Protagonist:innen der gescheiterten Ampel hart ins Gericht. Insbesondere Lindner und Scholz wirft er schwere Fehler vor – direkt gefolgt vom neuen Bundeskanzler. Oft steht im Subtext: Friedrich Merz kann es nicht! So wie Scholz es versuchte und mehrfach falschspielte, Lindner ihm auf dem Leim ging und fortan infantil bockte.

‚Letzte Chance‘ ist ein ausgezeichnetes Buch in einem sachlichen Ton, den man nur noch selten findet. Ein Buch, das aufzeigt, was nötig ist und was auf dem Spiel steht, damit das Grundgesetzes auch zukünftig ein universelles Versprechen für alle Menschen bleibt.

  • Gelesen im August 2025
  • Ich danke dem Siedler Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

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