‚Schwebende Lasten‘ von Annett Gröschner

Hanna Krause wurde 1913 in Magdeburg geboren und blieb ihrer Stadt zeitlebens treu. Mit zwei kurzen Unterbrechungen – für wenige Monate lebte sie bei Verwandten in Berlin und nach dem Krieg wenige Jahre auf dem Land – war das Zentrum jener Stadt ihr Zuhause. Im sogenannten Knattergebierge, dem Armenviertel, brachte sie ihre Kinder zur Welt, von denen sie zwei viele Jahrzehnte überlebte. Gegen den Willen der Schwester betrieb sie ab 1938 in den engen Altstadtgassen ein Blumengeschäft und ihre stilsichere Geschicklichkeit brachte ihr Kundschaft weit über die Altstadtgrenzen ein.

Als die Nazis alles Schöne verboten hatten und es Bomben statt Blumen regnete, gab Hanna ihren Laden auf, um stoisch weiterzumachen und ihr Alles für das Überleben der Familie zu tun. Sie begann als Aushilfe im Krupp-Gruson-Werk und arbeitete sich – allen männlichen Widerständen zum Trotz – zur Kranfahrerin hoch. Die alte Waffenschmiede, die nun unter dem Namen Thälmannwerk in der kleinen Republik bekannt war, wurde zu Hanna zweitem Zuhause. Vier Kinder zog sie groß und stütze ihren einbeinigen Mann nicht nur metaphorisch.

„Hanna lernte bald, den Kran anzutreiben wie ein Pferd, schneller, schneller, ich geb dir die Peitsche. So ein riesiges Gerät, das auf sie hörte, herrlich, und noch dazu war es klagloser als die Kinder. Bald nannte sie ihren Kran Mimi, wegen der behänden Laufkatze. Sie redete mit Mimi, wie sie mit ihren Blumen geredet hatte. Und nicht selten dachte sie, dass sie mehr mit ihrem Arbeitsgerät redete als mit Karl.“ (S. 176)

Was für ein Roman, vom stillen Mut und unbeirrter Beharrlichkeit, vom lauten und leisen Verschwinden und steinigem Neubeginn, von Bürden und Leichtigkeit – ja, auch leicht kann das Leben sein. Annett Gröschner ist mit ihrem Roman ‚Schwebende Lasten‘ ein Meisterwerk geglückt, in dessen Zentrum gleich zwei Protagonistinnen stehen: Hanna Krause, die Blumen liebende Kranfahrerin. Und Magdeburg, die unterschätzte und ihrer selbst mehrfach beraubte Stadt an der Elbe.

Ohne großes Pathos belebt Annett Gröschner das vergangene Jahrhundert wieder. Auf 279 Seiten widmet sie sich präzise mit zurückgenommener Sprache den vielen Heldinnen, die nicht in den Liedern der Arbeiterklasse besungen wurden. Hanna Krause wollte anständig bleiben und sie blieb es. Diese Konsequenz, verbunden mit menschlicher Herzenswärme, zeichnet ‚Schwebende Lasten‘ aus. Viel mehr noch: Im Gegensatz zu ‚Das Narrenschiff‘ verfällt Gröschner nicht in verhärmte Bitterkeit, sondern sagt, was zu sagen ist und richtet den Blick mit Witz und einem freundlichen Augenzwinkern nach vorne.

„Eigentlich hätte sie Gott danken sollen, dass er sie nicht mit Mann und Maus untergehen ließ, aber Hanna hatte Gott verloren, für immer. Wer zulässt, dass eine Kirche über Schutzsuchenden einstürzt, kann kein gerechter Gott sein.“ (S. 130)

  • Gelesen im Juli 2025
  • Aufmerksam wurde ich auf den Roman durch Marie Schmidts Besprechung in der Süddeutschen Zeitung vom 20. März und mit der dringenden Empfehlung aus der Buchkantine.

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