Ein Gastbeitrag von Patrick Presch
Katie Mitchells Inszenierung von ‚Bernarda Albas Haus‘ am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, gesehen im Rahmen des Berliner Theatertreffens 2025, entfaltet patriarchale Machtstrukturen als präzise, klinisch anmutende Studie. Alice Birchs Neufassung verdichtet das Stück zu einer universellen Parabel über internalisierte Unterdrückung – doch die ästhetische Strenge wirft Fragen nach der Balance zwischen konzeptioneller Klarheit und emotionaler Erreichbarkeit auf.
Nach dem Tod ihres Mannes schließt Bernarda Alba ihr Haus ab und zwingt ihre fünf Töchter zu acht Jahren strenger Trauer und Isolation, wodurch ein Klima aus Unterdrückung, Sehnsucht und Rivalität entsteht. Als die jüngste Tochter Adele sich heimlich in den Verlobten ihrer Schwester verliebt und die Situation eskaliert, endet das Drama tragisch.
Birchs Text versetzt Lorcas historischen Kontext in eine abstrakte Studie über strukturelle Gewalt. Die beinahe vollständige Abwesenheit männlicher Figuren hebt hervor, wie patriarchale Normen bereits in Haushaltsritualen verankert sind: Bernardas Regeln wiederholen die Logik des verstorbenen Ehemanns, der eine Tochter missbrauchte. Die Inszenierung zeigt kein alternatives Matriarchat, sondern die fatale Wiederholung von Unterdrückung – ein Konzept, das durch choreografierte Machtgesten verstörend konkret wird.
Das Bühnenbild – ein zweistöckiges Haus mit vergitterten Fenstern und einem architektonisch abgetrennten Innenhof – verkörpert Isolation und Überwachung. Die oberen Kammern, in denen Bernardas Töchter agieren, wirken wie ein Gefängnis, während der dunkle Außenraum als abstrakte Bedrohung imaginiert wird. Mitchells Regie nutzt diese Enge, um simultane Handlungsstränge zu entfalten: Zeitlupenchoreografien von Gewaltszenen stehen im Kontrast zu Alltagsgesten wie Geschirrspülen oder heimlichem Rauchen. Diese technische Präzision erzeugt jedoch eine diffuse Distanz, die die Figuren manchmal als Marionetten des Konzepts erscheinen lässt.
„Eine Tochter, die nicht gehorcht, ist keine Tochter mehr, sondern eine Feindin.“
Julia Wieninger verkörpert Bernarda als archetypische Autoritätsfigur, deren Gesten – etwa Faustschläge oder Waffengewalt – weniger individuelle Charakterzüge als vielmehr ein institutionalisiertes System der Unterdrückung symbolisieren. Die Töchter oszillieren zwischen Rebellion und Resignation, doch ihre Darstellung wirkt in manchen Momenten mechanisch.
Trotz handwerklicher Virtuosität – mit parallelen Dialogen, synchronen Bewegungen und bedrohlichem Soundtrack – bleibt die Produktion emotional unterkühlt. Die Reduktion der Figuren auf Funktionsträgerschaft („Rebellin“, „Opfer“) und plakative Gewalttableaus – bis hin zum Infantizid – drohen, die Komplexität des Themas auf eindimensionale Bilder zu beschränken. Besonders schwer wiegt diese Distanz im Kontext des realistischen Inszenierungsstils, der eigentlich Nähe und Anteilnahme ermöglichen sollte.
So bleibt die Inszenierung trotz ihrer ästhetischen Klarheit eine Herausforderung für das Publikum, das zwischen intellektueller Reflexion und empathischem Zugang hin – und hergerissen wird – vielleicht auch eine beabsichtigte Wirkung des Stücks?