Faktisch gibt es jährlich zwei Phasen des großen Rückblicks: Zwischen den Jahren, der mit einem Kater am 1. Januar endet, und vor der Sommerpause, in der die Institutionen, von Kita bis Staatsoper, Ciao du schöne Zeit voll Glück an die Strandmuschel faxen. Bei der Spielzeitplanung hatte das Gorki beschlossen, kurz vor den großen Ferien nochmal was Schönes rauszuhauen. Endstanden ist ‚Ciao‘, ein Band-Projekt unter Mitarbeit von Maryam Zaree und Ensemble.
Filip Piotr Rutkowski betritt die Bühne, Performer:in und seit 2021 Regieassistent:in am Gorki. Toll war die Zeit, sagt Filip, hier am Gorki, die nun zu Ende geht. Etwas ganz Besonderes haben sie sich überlegt als Abschied, erklärt Filip weiter. Als Supporter für die Boygroup mit Emre, Jonas, Taner und Knut werfen sie beutelweise Kuscheltiere ins Publikum. Werft sie zurück auf die Bühne, ruft Filip hinterher, genau an den Stellen, die ihr so richtig gut findet, und jenen, die euch gar nicht gefallen.
Der Vorhang rauscht zu Boden. Die Boyband spielt auf in engen Leggins am Schlagzeug, an der E-Gitarre, am Keyboard. Jonas Dassler, bereits schweißnass, singt, spielt Gitarre, Taner Şahintürk schwingt sich auf den Riff, die Band kommt in Fahrt und will am Ende der Spielzeit einfach mal die Themen verhandeln, die aktuell sind, was die Presse eben so aufgreift und bei Social Media ohnehin oben, oben, obenauf ist. Was eben Dauerkonjunktur hat. Und dann sagen sie Ciao, verabschieden sich in eine zweistündige panoptikumhafte Gesellschaftsoperette, an deren Ende alle – auch das Publikum – Don’t stop believing singen.
Ach, was soll ich schreiben? Wie wäre es hiermit? Kurz vor der Sommerpause ist auch am Gorki die Luft raus, obwohl es um Männlichkeit geht. Bitte, bitte und immer wieder gerne, liebe Boyband, aber bitte doch nicht so. Multieklektisch fabuliert Knut Berger von Solidarität und notwendiger Verbundenheit. Emre Aksızoğlu, schauspielerischer Lichtblick des Abends, monologisiert als Comedy-Act über Unterschiede und Ausgrenzung. Taner Şahintürk, der bedauerlicherweise weit hinter seinem Können zurückbleibt, findet sich im Dialog mit Gott wieder. Und am Ende erzählt die Band die Geschichten ihrer Mütter, was ernstgemeint rührt. Betroffenheit sollte jedoch nicht mit gutem Theater verwechselt werden.
Denn daran mangelt es ‚Ciao‘ von Minute fünf bis Minute 115 ohne Pause. Postulate vermischen sich teils schludrig recherchiert mit Aktuellem, ohne zu sortieren, ohne Gewichtung, ohne die große Chance zu ergreifen für Antworten und nicht im längst Gesagten profan zu verharren. Sie hätten mit dem doppelbödigen Titel wortwörtlich spielen, ihn ausbauen, sich und vieles – viele! – verabschieden und Neues begrüßen können. Sie hätten ihren Liederabend meinetwegen auch als musikalisches Best-of der Spielzeit gestalten können. Aber nein, nichts. Außer ständigem Szenenapplaus für ein Stück, das nicht weiß, was und wohin es will.
Leider bleibt ‚Ciao‘ eine große Selbstbefeierung für Gorki-Groupies. Denn Plüschtiere flogen viele auf die Bühne, ohne das klar wurde, ob aus Zustimmung oder aus Langeweile. Um positiv zu enden: So charmant ‚Ciao‘ begann, so motivierend entlässt Taner Şahintürk die Meute in die großen Ferien. Adieu, du schöne Zeit voll Glück!
- Gesehen am 22. Juni 2024
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.