‚Reise durch Ruinen‘ von George Orwell

Wenn es diesen überhaupt gibt und man davon sprechen darf, schildert George Orwell mit objektiv-unverstellten Blick als Kriegsberichterstatter für den britischen Observer Eindrücke und Erlebnisse aus einem Land in Trümmern. Zwischen März und November 1945 reiste Orwell mit alliierten Streitkräften durch das geschlagene Deutschland. Frei von Groll oder Hass, der nachvollziehbar und angesichts des Erlebten durchaus verständlich wäre, finden sich in ‚Reise durch Ruinen. Reportagen aus Deutschland und Österreich 1945‘ beeindruckend erhellende Berichte über die Herausforderungen aus Sicht der Alliierten auf der einen Seite sowie der Zivilbevölkerungen auf der anderen.

Die gesammelten Reportagen sind Zeitdokumente der besonderen Art. Als historische Artefakte sprechen sie in die Gegenwart aus einer Zeit, die dreieinhalb Generationen später geradezu unglaublich klingen und an der EU-Außengrenze aktueller denn je sind. Elf Reportagen über das politische Agieren der Alliierten, die drängenden Fragen der Reorganisation eines geschlagenen Landes, der Umgang mit Abermillionen heimatloser Menschen – Displaced Person – und dem bevorstehenden Winter von dem man weiß, dass Lebensmittel knapp sein werden und Brennholz noch knapper.

Mit einem historisch kontextualisierenden und einordnenden Nachwort von Volker Ulrich ist das 108 Seiten umfassende Buch in der Tat ein besonderer Zufallsfund im Bücherregal. Der sich abzeichnende Dissens unter den Alliierten im Umgang mit Deutschland ist nur eine von zahlreichen Themen, die Orwell über das gut halbe Jahr in seinen Reportagen herausarbeitet, stets im Willen und Bewusstsein der britischen und amerikanischen Bevölkerung ein möglichst umfassendes Bild der Lage in Deutschland zu liefern.

„Eine Woche zuvor wäre er wahrscheinlich noch empört gewesen über die Vorstellung, einem Boche Kaffee zu schenken. Aber seine Gefühle, sagte er mir, hätten sich beim Anblick dieses armen Toten an der Brücke verändert. Er habe plötzlich begriffen, was Krieg bedeutet.“ (S. 60)

  • Gelesen im November 2022
  • Ein wirklich selten besonderer Zufallsfund im Regal „Das besondere Buch“ in der Buchkantine, Dortmunder Straße 1 in Moabit.

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