‚Gefährten‘ von Christina Hesselholdt

‚Der Herr der Ringe‘ – großes Kino und ganz große Literatur! Die Helden von Helms Klamm, von Minas Tirith, als das Böse die Menschen, Elben und Zwerge überfiel – unvergessen. Internationale Zusammenarbeit und gelebte Integration gleichermaßen, angeführt von Bernie Sanders Widergänger mit langem, weißem Bart. Doch wir erinnern uns auch: Getrübt wurden Lese- und Filmvergnügen durch Frodos Reise vom Auenland nach Mordor. Ermüdende Dialoge, langweilige Szenen mit zermürbendem Gejammer. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb Christina Hesselholdt ihren Roman ‚Gefährten‘ taufte.

Großbritannien. Wir begleiten Alma und ihren Gatten Kristian durch den Lake District. Nach etwa 20 Seiten wird deutlich, dass es sich um einen Wanderurlaub handelt. Nach weiteren 30 Seiten erfahren wir, dass beide Literatur schätzen. Die ständig rezitierten Gedichte britischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller – wahrscheinlich müsste ich sie kennen – sollen diese Vorliebe wohl verdeutlichen. Leider vermeidet Hesselholdt jede charmante Erläuterung. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Schauplatzwechsel nach Dänemark. Plötzlich begleiten wir Edward, einen Freund der Beiden, beim Gassi gehen mit Hund durch Kopenhagen. Bereits an dieser Stelle möchte man nichts weiter erfahren. Dass Edward seine Eltern nach ihrem partnerschaftlichen Suizid erhängt im Schlafzimmer fand, im Anschluss an ihre Beisetzung ins elterliche Haus einzog und, um seine Trauer zu bewältigen, sich einen Hund anschaffte.

Die 440 Seiten sind so selbstzufrieden und saturiert wie Dänemark. Zweifelsohne ist Camillas und Charles‘ Abstecher ins Berliner Nachtleben das Vesterbro des Romans. Leider plätschern vielerorts zu lange Sätze wie Landregen über Fünen und ich frage mich: Wo bleiben die Frühlingsstürme? Ich will Witz, will Ironie, gerne auch subtile Gesellschaftskritik, wenn ständig Erste-Welt-Probleme thematisiert werden. Ich will ‚Rimini‘ von Sonja Heiss und nicht das literarische Pendant zur inhaltlichen Erneuerung der SPD.

‚Gefährten‘ ist der Versuch eines modernen Gesellschaftsromans, der nicht misslingt, meinen Geschmack jedoch einigermaßen verfehlt. Mich irritieren zusammenhangslose Episoden ohne Ziel. Auch die ständig in Klammern gesetzten Einschübe tragen keineswegs zum Verständnis bei. Im Gegenteil! Sie behindern den Lesefluss und stimmen missmutig. Wem die Schlacht um Minas Tirith zu aufregend ist, wird bei Hesselholdts ‚Gefährten‘ das finden, was modernen Biedermeier ausmacht. Wer Entschleunigung sucht, wird sich nicht nur in der Dänischen Staatsbahn wohlfühlen.

  • Gelesen im Januar 2019
  • Mir gefiel das Buchcover in der Auslage. Manchmal sind die profanen Dinge, die entscheiden.

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