Im Allgemein gelten Elefanten als sehr beliebte Tiere. Die größten Landsäugetiere der Erde haben es beispielsweise zum Liebling vieler Kinder gebracht, siehe Benjamin Blümchen. Elefanten besetzen die Position der Megafauna, sind sehr sozial, können mit ihrem Rüssel schnorcheln, haben ein buchstäbliches Elefantengedächtnis, betreiben Kindergärten und sind alles andere als Langschläfer. Beheimatet sind Elefanten heute überwiegend in Afrika und Asien und nur sehr, sehr wenige Tiere finden ihr künstliches Habitat beispielsweise im Berliner Zoo oder Tierpark.
Recht schnell ist also die erste These widerlegt, die an der Spree gesichtete Elefantenherde könnte dem Zoo entlaufen sein. Neue Sichtungen manifestieren sich hingegen zu ganz realen Problemen: Der komplette Berliner Berufsverkehr ist vollständig zum Erliegen gekommen. Neue Tiere tauchen von Geisterhand in allen Stadtbezirken auf und Bundeskanzler Winkler ist wild entschlossen, zu handeln. Nur wie? Der BND zieht gar einen Terroranschlag in Erwägung, denke man nur an invasive Arten im Kot der Tiere. Obwohl sich die Terrorthese nicht erhärtet, verwandelt sich Berlin zur afrikanischen Feuchtsavanne. Nun, und angeheizt durch rechtspopulistische Parteigänger und nicht besonders guter Regierungsarbeit, kippt die gute Stimmung trotz anfänglicher Tierliebe.
„Die Demonstranten haben den Pflanzenberg mit Benzin übergossen und definitiv vor, ihn anzuzünden. Die bereitstehende Hundertschaft versucht, das mit aller Macht zu verhindern, aber kommt nicht am Wall aus Scheiße vorbei, den die Müllabfuhr um den Scheiterhaufen herum errichtet hat. Sogar die Wasserwerfer kommen nicht nah genug heran, denn die Traktoren weichen keinen Zentimeter […]“ (S. 58)
Was als beiläufige Pressemeldung den Weg in die reale Welt fand, entwickelt Gaea Schoeters zu ihrem zweiten Roman. Entwicklungsministerin Svenja Schulze hatte 2024 auf der Afrikakonferenz ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen vorgeschlagen. Als Reaktion wies der botschwanische Präsident den Vorschlag empört zurück. Sein Vorschlag: Er könne der Bundesrepublik 20.000 Elefanten schenken, die, so er wörtlich weiter, halb Brandenburg plattmachen würden.
In ‚Das Geschenk‘ entwirft Gaea Schoeters ein Deutschland im europäischen Hier und Heute mit koalitionsunwilligen Parteien, populistischem Druck von Rechtsaußen, hitzigen Bauernprotesten, Klimakrise, Demografiekrise, Haushaltskrise – und 20.000 Elefanten mitten in Berlin.
Ihr Sujet der Parabel ist schnell skizziert. Elefanten als Eindringlinge einer tierischen Flüchtlingskrise. Wir schaffen das!, ruf Bundeskanzler Winkler seinen Landsleuten zu. Während viele hilfsbereit Tierfutter spenden, wächst der Handlungsdruck ganz von allein. Schoeters Roman gerät dabei oft zur groben Skizze, die teils stark oberflächlich die gesellschaftliche Flora und Fauna zwischen Notwendigem und Besitzstandwahrung vermisst. Natürlich ist ihr Gedankenexperiment an vielen Stellen wirklich lustig zu lesen und alles in allem gut recherchiert. Wer weiß schon, dass die eigentliche Touristenattraktion der Stadt Hamm nicht die ICE-Teilung auf der Fahrt nach Köln und Düsseldorf ist, sondern kunstvoll gestaltete Elefantenfiguren?
Auch stilistisch bedient sich Schoeters einer einfachen Sprache, die gelegentlich, wie oben zitiert, ins unappetitliche abrutscht. Und doch ist ihr Spannungsbogen stabil genug, um ab Seite 117 bis Seite 120 alles, wirklich alles zu erklären. Drei Seiten Eindringlichkeit in einem Roman, der nicht mehr als 138 umfasst. Einem Roman, der als Parabel nicht mit einem Gesellschaftsroman zu verwechseln ist. Einem Roman, den man wegen seiner Handlichkeit praktisch zu jeder Gelegenheit lesen kann und nicht unterschätzen sollte.
- Gelesen im September 2025
- Aufmerksam wurde ich auf ‚Das Geschenk‘ die Besprechung von Gustav Seibt vom 24. Juli in der Süddeutschen Zeitung.