Zwischen Ästhetik und Abwehr – Ein Gastbeitrag von Patrick Presch
Es scheint das Festival der großen Bühnenbilder und der Zeitlupen-Performance zu sein, eine radikale Entschleunigung in einer rastlosen Zeit. Im Rahmen des diesjährigen Berliner Theatertreffens wurde ‚Double Serpent‘ (Hessisches Staatstheater Wiesbaden) gezeigt. Ein Stück, geschrieben von Sam Max in der Regie von Ersan Mondtag, das visuell beeindruckt, aber inhaltlich ambivalent bleibt.
Im Zentrum von ‚Double Serpent‘ stehen Connor und Felix, deren Beziehung von Gewalt, Machtspielen und der Verarbeitung von Kindheitstraumata geprägt ist. Zwischen Rückblenden und Gegenwart entspinnt sich ein Netz aus Abhängigkeit, Schuld und der Suche nach Nähe. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen, während die Figuren immer tiefer in ihre eigenen Abgründe und Erinnerungen gezogen werden.
Die Wahl, schwule Sexualität als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Missbrauch, Gewalt und Trauma zu nehmen, ist ein riskantes Unterfangen. Anstatt gesellschaftliche Mehrheiten für nicht-normative Lebensrealitäten zu sensibilisieren, droht das Stück, bestehende Vorurteile zu verstärken. Die Verknüpfung queerer Identität mit Leid und Grenzüberschreitung wirkt abschreckend und könnte potenziell genau jene in ihrer Ablehnung bestärken, die für Offenheit und Verständnis gewonnen werden sollten.
Die Inszenierung ist bildgewaltig und von außergewöhnlicher technischer Präzision. Doch das ausnahmslos männliche Ensemble scheint in dieser Ästhetik gefangen. Ihre Bewegungen und Dialoge wirken wie choreografierte Elemente eines Gesamtkunstwerks, das ihnen wenig Raum für echte Emotion oder Entwicklung lässt. Die Figuren bleiben schemenhaft, fast wie Bestandteile eines Gemäldes – konserviert in innerer Starrheit.
„Manchmal ist das, was heilt, nicht das Vergessen, sondern das Wiederholen.“
Dramaturgisch versucht das Stück, klassische Muster aufzubrechen und der Vorlage neue Bedeutungen oder sogar spielerische Leichtigkeit abzuringen. Diese Versuche scheitern umfänglich: Was innovativ gedacht ist, wirkt oft plump und unfreiwillig komisch. Statt Tiefe entsteht Leere, statt Befreiung ein Gefühl von Befangenheit.
Es ist unbestritten wichtig, neue Narrative und Perspektiven im Theater sichtbar zu machen. Doch der Umgang mit hochsensiblen Themen wie Trauma und Gewalt verlangt nach besonderer Sorgfalt. Hier entsteht der Eindruck, dass persönliche Verarbeitung und künstlerischer Ausdruck nicht im Gleichgewicht stehen. Ratsam wäre, Themen zunächst zu reflektieren, bevor sie auf große Bühnen gebracht werden.
Am Ende bleibt ‚Double Serpent‘ ein widersprüchliches Erlebnis: visuell eindrucksvoll, aber emotional distanziert. Mutig in der Themenwahl, aber unglücklich in der Umsetzung. Die Inszenierung zieht in ihren ästhetischen Sog, stößt aber zugleich ab, wenn es um Empathie und gesellschaftliche Wirkung geht. Insgesamt steht diese Arbeit für ein insgesamt unterdurchschnittliches Theatertreffen, das viel versprach und wenig einlöste.
- Gesehen am 18.5.2025
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.