Drei Jahre sind vergangen und Tue verhält sich, wie sich ein siebzehnjähriger Teenager verhält: Er ist launisch, versucht, die Welt zu entdecken, will weg, ausbrechen, aber endet bereits an der erstbesten Bushaltestelle. Mutig ist Tue, doch trotz seiner Unbändigkeit lähmt seine Destruktivität jede Kraft, die nicht weiter reicht als bis in die nächste Kleinstadt.
Gleichzeitig ist auch Gutes passiert. Tues Mutter geht es besser. Sie ließ ihre Depression behandeln und bekam für einen chirurgischen Behandlungsfehler eine auskömmliche Entschädigung zugesprochen. Auch wenn ihnen vom Hof außer dem Haus kein Quäntchen geblieben ist, sind sie schuldenfrei. Tues Vater geht einer geregelten Arbeit nach und Tues Mutter hat eine Affäre. Hoppla! Kann das gut gehen? Nein, kann es nicht und es zerreißt Tue. Er will weg von seinem Vater, wünscht ihm den Tod. Hinaus aus dieser Deprivation!, schreit alles in ihm. Eine Trennung der Eltern ist dennoch keine Option.
„Die ganze Zeit bewertete ich andere Menschen. Beobachtete, wie ihre Adern verliefen, ihre Augen, ihr Lachen, ihr Gang, ihren Geruch und wie sie sprachen. Um anschließend zu urteilen, ob ich so werden wollte wie sie oder nicht. Als würde ich riskieren, wie diese Leute zu werden, wenn ich mich nicht für das Gegenteil entschied.“ (S. 160)
Mit ‚Stadt‘, dem zweiten Teil seiner Tue-Trilogie, unternimmt Thomas Korsgaard die Fortsetzung seines Coming-of-Age-Entwicklungsromans. Verkürzt zusammengefasst begibt sich der Protagonist Tue auf die Suche nach Vorbildern mit dem Ziel, eine positive Zukunft zu entwerfen. Für sich, aber auch für seine Mutter. Dafür füllt der Autor 277 Seiten und reiht von Gewalt durchzogene Alltäglichkeiten aneinander. 68 Kapitel voller emotionaler Abhängigkeit, psychischer Erniedrigung, Schlägen. Leicht verliert man den roten Faden, so wie sich Korsgaard in Nebensächlichkeiten verzettelt.
Trotz mancher Sympathien für den Protagonisten, gelingt es Korsgaard nicht, wirkliche Charaktere zu kreieren. Stattdessen blickt man geradezu voyeuristisch in die ärmliche Stube einer prekären Familie, die Bildung ablehnt. Was man im ersten Teil ‚Hof‘ als Versatzstücke einer Sozialstudie lesen konnte, verliert in der Fortsetzung jeden intellektuellen wie literarischen Reiz. Die Familienreise in die Türkei erinnert beispielsweise an Vorabendformate im Privatfernsehen, während zugespitzte Spannungsmomente im nebensächlichen Vorbeigehen klanglos verpuffen.
Insgesamt ist das wirklich schade, denn Thomas Korsgaard hätte mit ‚Stadt‘ einen klugen Jugendroman schreiben können, der Vorbild ist für queere Menschen in ländlichen Räumen. Was der dritte Teil ‚Paradies‘ uns bringt, bleibt abzuwarten.
- Gelesen im April 2025.
- Nach dem ganz schönen ersten Teil war ich gespannt auf die Fortsetzung.