„Die ASMR-Bewegung boomt seit einigen Jahren in den sozialen Medien“, schreibt das Hessische Staatstheater Wiesbaden auf seiner Homepage. Autonomous Sensory Meridian Response – noch nie gehört? ‚ER PUTZT‘ in der Uraufführung von Marie Schleef veranschaulicht 75 Minuten ohne Pause eindrücklich – und entschleunigend – worum es sich bei ASMR handelt. Und nicht nur das. Schleef hat sich den gleichnamigen Text von Valeria Gordeev als stille Vor- und Grundlage genommen. Performativ nähert sie sich diesem fragmentarischen Stoff, mit dem die Autorin 2023 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann.
Aus dem Off stetes Säuseln, Klicken, Plätschern, Rauschen, Knartzen, Tropfen, Quietschen, Summen, Schleifen, Hallen. Im Vordergrund Adi Hrustemović und Jonas Grundner-Culemann als Konstantin, der penibel die Wohnung in Ordnung hält. Er fegt, wischt, kehrt. Er fasst ins Auge, sieht, reagiert und sagt dazu: nichts. Rein gar nichts! Zusammen mit Ida Rauschnabel spielen die beiden Schauspieler ausschließlich stumm. Gefüllt wird der komplette Abend vollständig pantomimisch, was dem Dreierensemble ausgezeichnet gelingt. Ins Zentrum rücken Mimik und (innere) Haltung. Wechselspiele aus Blicken und Gestik zwischen den Konstantins – ein spielerisches Theaterfest ohne Worte in Slow Motion.
Liebes Publikum, auch das noch! Dass das Kleine Haus nur zu gut einem Drittel gefüllt war, war sehr bedauerlich. Ob es am repetitiv entschleunigten Spiel gelegen hat oder augenscheinlicher Handlungsarmut? Dabei überzeugt das Bühnenbild von Lina Oanh Nguyen auf ganzer Linie. Auch Cosma Corona Hahne dramaturgische Bearbeitung ist klug aus vier repetitiven Miniaturen komponiert. Wer sich an „Warten auf Godot“ erinnert fühlt – zu Recht. Sehr präzise – andere würden sagen detailverliebt – greifen Bühne, Spiel und Ton ineinander. Dezent fallen digitale Kalenderblätter und dreht die Wanduhr zurück auf fünf vor 16:00 Uhr. Popkulturelle Referenzen kontextualisieren zudem hintergründig die Handlungszeit und das soziale Milieu einer Familie, der Lada und Konstantin angehören. So sieht gutes Theater aus.
‚ER PUTZT‘ ist eine Performance über Determinanten hinweg. Schweigen und Reduktion geben Räume frei für Seinsgebilde aus Akustik, aus Rudimentärem und vermeintlich Nebensächlichem. Erschöpfung findet nicht auf der Bühne statt, sondern im Publikum. Gut so. Es bleibt zu wünschen, dass Marie Schleefs ‚ER PUTZT‘ in folgenden Vorstellungen besser angenommen wird vom unangenehm satten Wiesbadener Publikum. Gerade auch deshalb ist ‚ER PUTZT‘ eine wichtige Inszenierung am richtigen Ort – Sprechtheater ohne gesprochene Sprache eines preisgekrönten Textes.
- Gesehen am 6. April 2025
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.
Das klingt voll gut…. Leider komme ich so bald nicht nach Wiesbaden…Warst du auf der Durchreise?
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Sicherlich läuft das Stück noch diese Spielzeit. Ein Versuch ist es wert.
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