Meine Damen, meine Herren, Sie haben gehört, was der Genosse Vorsitzende gesagt hat. Und so wird es gemacht. Genosse Tannberg, werden Sie nicht übermütig bei Ihrem Tagwerk. Frau Dr. Frühling geht Ihnen zur Hand. Und Ralfe, du passt schön auf, dass die Fischer-Chöre von der Sache keinen Wind bekommen. Alles klar? Natürlich, Genosse Vorsitzender!
Grischa Tannberg hat das große Los gezogen. Als Einser-Absolvent der Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner beginnt seine Karriere an vorderster Front. Die Plankommission – kurz PlaKo – ist wirtschaftliches Rückgrat des gesamten Landes, die Schaltstelle allen Tuns und Seins. Als dynamischer Jungaktivist ist Grischa Ralf „Ralfe“ Burg zugeordnet. Fünfter Stock, Kleinere Bruderstaaten, Abteilung Afghanistan. Burgs wohlgemeinter Rat, kunstvolles Warten sei von nun an die beste aller komplexen Tätigkeiten, missfiel Grischa vollends. Also macht er sich ans Werk, einen Plan auszuarbeiten, wie die noch junge Volksrepublik Afghanistan auch ökonomisch auf dem Weg des Fortschritts unterstützt werden könnte.
„Und jetzt, sagte Ralf Burg, zeige ich Ihnen mal unsere Kantine. Denn die ist Weltniveau und einer der besten Orte für kunstvolles Warten.“ (S. 21)
Wie war die Welt doch einfach: Es gab den Osten und es gab den Westen und mittendurch verlief eine Mauer. Fleisch in verschiedenen Darreichungsformen liebende Männer regierten die Welt und vieles war – mit 40 Jahren Abstand – wirklich saukomisch. Diese Absurditäten hat Jakob Hein mit wunderbarer Leichtigkeit auf 243 Seiten skizziert. Die Idee, einen Deutsch-afghanischen-Freundschaftsladen im Grenzübergang Invalidenstraße zum Handel von Cannabis – Pardon, Medizinalhanf – zu errichten, ist natürlich großartig. Die antizipierten Reaktionen der Herrschaften in West wie Ost sind es ebenfalls.
‚Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste‘ ist der beste Roman in dieser denkwürdigen Zeit. Er will nichts erklären, niemanden zu einem besseren Menschen erziehen, verzichtet auf allerlei Firlefanz. Er verhandelt konzentriert fortschrittliche Devisenbeschaffung. Und das Beste: Bei aller Skurrilität ist Jakob Heins Idee klug durchdacht. Ausformuliert in kleinen Kapiteln trifft der Autor zudem exakt die hölzern-kumpelhafte Genitivsprache der DDR; auch seine Sozialstudien tölpelhafter Bürokratie und männlicher Inkompetenz sind wunderbar.
Grischas Projekt, mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen seiner afghanischen Schwestern und Brüder neue Absatzmärkte zu erschließen, ist freudvoller Klamauk. Eine fabelhafte Idee wider des kunstvollen Wartens. Und Literatur darf auch einfach mal nur gute Unterhaltung sein. Jakob Heins aktueller Roman löst dieses Versprechen vorbehaltlos ein. Viel Vergnügen beim urkomischen innerdeutschen Grenzverkehr.
- Gelesen im März 2025
- Aufmerksam wurde ich auf den Roman durch „Die schöne Lesung“ auf radioeins vom 27. Februar.
Das klingt ja super! Kunstvolles warten…. Herrlich! Und “beinahe” den Weltfrieden auszulösen, klingt doch nach mehr
LikeLike
Hi Michael!
(Unbekannterweise)
Erst die Arbeit, dann das Forgnieschn, so lautet die deutsche Parole, ob nun in Ost oder West.
Daher zum Start der Beitrag der Lektorin in mir, die wirklich nie Feierabend macht:
„Bei aller Skurrilität ist Jakobs Hein Idee klug durchdacht.“
Das Genitiv-S muss natürlich von Jakob zu Hein wechseln.
Weiter mit der westdeutsch sozialisierten Leserin:
„die hölzern-kumpelhafte Genitivsprache der DDR“
Äh, watnhä?
Ja, und Grischa – schade, dass er seine Pläne offensichtlich nicht umsetzen konnte. Weltfrieden, das wär schön.
Auch wenn ich dann eine Reihe interessanter Leute (sämtlich Ukrainer:innen) nicht kennen gelernt hätte.
Na ja, so bleibt nachfolgenden Zufallshelden auch noch was zu tun.
💚liche Grüße von der Vorgärtnerin🌷
LikeGefällt 1 Person