Linkerhand!, hallt es über die Baustelle. Raus aus der Komfortzone will sie, um das Land auch in der Provinz neu zu errichten, besser zu machen, zu entwickeln. Dort, wo es Not tut. Wo sie gebraucht wird. Keine bürgerlichen Privilegien mehr, anpacken und Bauklötze stapeln. Linkerhand! Diese Fantastereien immer! Wir erbauen eine Stadt für unsere Arbeiter, nicht für den neuen Menschen. Dass ich nicht lache, denkt die junge Architektin. Nicht der neue Mensch, dafür Trostlosigkeit die Straße hoch und die Straße abwärts. In den Matsch gestellte Wohnblöcke, unwirtlich, kalt, aber mit Zentralheizung.
Franziska Linkerhand versucht es dennoch. Wider besseres Wissen geht sie mit enthusiastischer Hoffnung ans Werk. Plant über das Soll hinaus, tritt patriarchaler Ausgrenzung entgegen. Und scheitert. Wo bleibt innerhalb der Utopie die kluge Synthese von Modernität, gewachsener Struktur mit lebendigen Straßen und Notwendigkeit?
Scheitert Linkerhand oder scheitert der Staat: An Mittelmäßigkeit, an Unvermögen Entscheidungen zu treffen, an grauer Ambitionslosigkeit? Franziska Linkerhand ist die kraftvolle Antithese des gleichnamigen Romans von Brigitte Reimann, dessen Theateradaption am Gorki seit Oktober 2024 verhandelt wird. In seiner Inszenierung hat Sebastian Baumgarten die Protagonistin zeitgenössisch angelegt und lässt das Publikum ihre Ambivalenz und ihr Ringen mit den Helden der Architektur des 20. Jahrhunderts miterleben.
Gespielt wird Linkerhand von Katja Riemann, Maria Simon und Alexandra Sinelnikova: Als junge Frau mit überschäumenden Träumen, als etablierte Architektin, die doppelt kämpfen muss, um sich zu behaupten, als gebrochene Träumerin in ihrer Zwiespältigkeit zu Mensch und System. Alle drei füllen ihre Rollen, geben der Figur Gesicht, Stimme, Herz. Doch die Inszenierung verzettelt, verliert sich im Detail. Baumgarten lässt Baucontainer rotieren in ständig wechselnden Bildern und verliert im Tanz der Kräne die Orientierung. Vieles tritt auf der Stelle, bis sich zäh die Ideen des Romans in einer bühnenbildlich urbanen Baustellenlandschaft entwickeln.
‚Linkerhand‘ am Gorki spielt mit Klischees und kommt letztlich zu der Erkenntnis, dass mit diesen Menschen kein Staat zu machen ist und schon gar keine bessere Welt zu errichten sein wird. Stellvertretend dafür steht Till Wonka als Oberbauleiter, der mit geradezu hinreißendem Niederlausitzer Zungenschlag eine Quadratur des Kreises versucht, innerlich jedoch längst gekündigt hat. Im Ergebnis tut diese Inszenierung nicht weh. Das Leben im real existierenden Vorbild wird um ein Vielfaches schmerzvoller sein.
- Gesehen 25. November 2024
- Und hier die Stimme der Nachtkritik.