‚Ein anderes Leben‘ von Caroline Peters

Die Väter und der Krieg sind vergessen und für Bow heißt es nur noch Architektur und Aufbau. An seiner Seite stehen Roberto und Klaus. Und Hanna, seine zukünftige Frau, aber davon weiß er noch nichts. Auch Hanna weiß damals noch nicht, dass sie drei Töchter haben und dreimal geschieden sein wird. Eine Tochter von Klaus, eine von Roberto und eine, wer glaubt es, von Bow. Mit Bow wird sie schließlich nach Köln ins Architektenhaus ziehen und ihm zuhören, wenn er von Architektur und Aufbau monologisiert.

Zunächst führen sie ein überschwängliches Leben als Familien zu fünft, später zu viert, zu dritt. Allein. Wie Bow hat Hanna in Heidelberg studiert und als promovierte Literaturwissenschaftlerin abgeschlossen. Wenige Jahre später verrichtet sie vormittags Dinge in einer Bibliothek und führt nachmittags – immer unwilliger – ein westdeutsches Leben. Ein Glück, das nach Aufschrei verlangt, nach Ausbruch aus einer Unmündigkeit der Vorgärten und Carports, aus Boheme und immer mehr Biederkeit.

„Ihr wart toll!, möchte ich in die Vergangenheit schreien. Wann habt ihr das vergessen? Wer hat euch gezwungen, in den Rotary-Club einzutreten und die Ente gegen einen goldenen Golf zu tauschen und cremefarben zu werden?“ (S. 153)

Zunächst hellwach mit Energie und Plänen, später cremefarben, heute beige als Farbton und Haltung. Von dieser Entwicklung erzählt die Schauspielerin Caroline Peters in ihrem ersten Roman ‚Ein anderes Leben‘. Zentrale Protagonistin ist Hanna, die Mutter der Ich-Erzählerin und jüngsten Tochter. Ausgehend von der Beisetzung ihres Vaters Bow erzählt die Tochter reflexiv über ihre Beziehungen und insbesondere das Verhältnis Tochter Mutter als innere Handlung. Es sind die 70er- und 80er-Jahre, das Leben im Rheinland in einer bildungsbürgerlichen Familie, die immer anders war als üblich. Bows Blick nach Westen gerichtet, Hannas Liebe zu den russischen Klassikern. Sonntage im Bett mit Champagner und Puschkin – Weltläufigkeit und depressive Enge Tür an Tür im Architektenpavillon der Gewohnheit.

Peters dreiteiliger Erstling strukturiert Hanns Lebensphasen einmal vor und einmal nach ihrem existenziellen Bruch mit der Familie. Katalysator ist dafür die elterliche Auseinandersetzung und ihre dialektische Entfremdung einerseits. Andererseits aber vor allem die Retrospektive aus Tochtersicht, nachdem die Eltern nicht mehr sind und die Kinder das Heft übernommen haben.

‚Ein anderes Leben‘ ist ein Roman, der auf 239 Seiten sehr westdeutsch die Geschichte der Kriegskinder im Wirtschaftswunderland erzählt. Ein Roman, der schwelgt, der träumt, der von Härten erzählt und wenig Disziplin verlangt. Der mitreißt und anrührt und immer mehr will mit seiner Sprache, wie sie auf großen Bühnen deklamiert wird. Gerade die gewählte Prosa ist die Stärke dieses Romans bei man spürt, wo die Autorin eigentlich beheimatet ist. Nur als sehr große Ausnahme lese ich Romane von Schauspieler:innen. Caroline Peters beschreibt diese Ausnahme der Regel und ich bin froh, sie gemacht zu haben.

  • Gelesen im November 2024
  • Überzeugt hat mich Nils Minkmar mit seiner Besprechung in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Oktober.

Eine Antwort auf „‚Ein anderes Leben‘ von Caroline Peters

  1. Lieber Michael,

    Deine Rezension hat mich so richtig neugierig gemacht … und zufällig suche ich noch nach einem Geschenk! Vielen lieben Dank und mach bitte noch lange weiter mit deinem Blog

    LG Laszlo

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