Glücklichsein, den Moment spüren, ihn zulassen und annehmen. Gerade darin ist Alexis großartig. Marc, der ihn vor wenigen Wochen an der Côte d’Azur kennengelernt hat, ist hin und weg. Tag für Tag inspiriert ihn diese Haltung und er verliebt sich in diesen schönen Mann. Seinen Mann, mit dem er ab sofort zusammenlebt. Der nun, zwei Jahre später, nach einem Unfall im Koma liegt auf einer New Yorker Intensivstation. Kurz bevor sich die Beiden kennenlernen, hat Marc Frankreich verlassen und als Banker an der Ostküste nochmal neu Fuß gefasst. Sein Verhältnis zur eigenen Arbeit ist ambivalent. Das Geld stimmt, die Work-Life-Balance nicht. Bis Alexis in sein Leben tritt, der alles verändert.
Natürlich lädt das Mittelmeer ein zum Müßiggang, wo Marc seine Jugend verbringt. Geboren und aufgewachsen auf Korsika, lebt er bis zu seinem Abitur in Nizza. Sein Vater hatte ihn rausgeworfen als er Marc mit dessen Schwulsein konfrontierte. Und schnell war klar, dass die Insel, die räumliche und geistige Enge ein Käfig sein und bleiben wird. Alexis ist sein Gegenpol. Seit ihrer ersten Begegnung spürt er, wie satt Marc es hatte. Erschöpft von schwulem Dating als Konsum.
„Fun. Er hasst dieses Wort. Seit wann muss alles immer spaßig sein? Er will was Echtes, was Großes, was Schönes, mal Kälte, mal Feuer, will ab und an traurig sein und dann wieder hingerissen, auf alle Fälle lebendig. Er will leben, verdammt! Fun, was soll das heißen? Fun ist halbherzig. Fun ist engstirnig. Fun überlässt er lieber Disney World.“ (S. 84)
Nächte ohne Morgen, doch im Grunde wollen sie alle nur in den Arm genommen werden. Marc und Alexis, die beiden Protagonisten in Benoit d’Halluins aktuellem Roman, sind die Prototypen cis-schwulen Lifestyles. Was einerseits ziemlich belanglos daherkommt, ist gleichzeitig die große Stärke von ‚Nacht ohne Morgen‘. Geradezu ekstatisch erzählt d’Halluin von Marc, wie er durch die Datingportale und Betten der westlichen Welt streift. Authentisch triff der Autor Zeitgeist und Lebensgefühl, aber auch deren Praxis mit alle ihren moralischen Verwerfungen. Alexis wird ambivalent als gemäßigter Gegenpol gezeichnet, der zwar behütet aufwächst, doch Opfer eines sexuellen Übergriffs wird.
Der Missbrauch und Alexis‘ Unfall bilden zwei dramatische Wegmarken auf 312 Seiten und rahmen eine unwahrscheinliche Aneinanderreihung der schlimmsten aller Optionen. Den roten Faden spinnt Benoit d’Halluin sprachlich banal, sodass vieles an romantisch verkitschte Tagträume erinnert. Durchdacht ist hingegen der retrospektive und zeitgenössische Pendelschlag des Romans, der kapitelweise zwischen der Gegenwart und früheren Lebensphasen der beiden Protagonisten schwingt.
Lässt man sich vom Cover blenden, überzeugt ‚Nacht ohne Morgen‘ auf ganzer Linie. Ein Roman als seichte und grobschlächtige Trivialliteratur, die trotz allem Spaß machen kann wie Vorabendserien im grauen Herbst.
- Gelesen im November 2024
- Aufmerksam wurde ich auf dem Roman mal wieder bei Books are gay as fuck!