Achtung, Theater! – ‚Daddy unplugged‘ an der Neuköllner Oper

Piep. Piep. Piep. Markant monoton gibt das EKG sein fragil hoffnungsvolles Signal von sich. Momentan ist alles okay, sagt es akustisch den Gästen im Wartebereich. Aktuell haben drei Personen Platz genommen, zwei Frauen und ein junger Mann. Und sie warten. Sie warten auf ein Zeichen, einen Wink der Ärzte:innen, des Stationspersonals, dass endlich etwas passiert. Im besten Fall etwas Gutes, eine gute Nachricht von der Intensivstation, auf der ihre Väter liegen, nach einem Schlaganfall, einem Unfall, was auch immer.

Es ist die Unruhe, sind die Gedanken und Erinnerungen an früher und die unausweichliche Frage, die Maria, gespielt von Katharina Beatrice Hierl, Frieda, gespielt von Frederike Haas und Hanno, gespielt von Owen Read, rastlos werden lassen. Was waren – nein, im Präsens! – was sind ihre Väter für sie? Waren sie da in ihrer Kindheit, waren sie streng? Ich war ein besserer Vater, als meiner es war und du wirst es besserer Vater sein, als ich dir einer war, spricht Chris Jäger als Portrait eines Unsichtbaren an der Rampe ins Mikrofon. Bühne frei zu diesem Liederabend, dieser Zeitreise in die Wohnzimmer der 60er, 70er, und 80er, zu diesen Vätern im Vorsaal der Intensivstation.

Es ist kein heiterer Liederabend, kein fröhliches Singspiel oder leichtes Musical, das Alexandra Liedtke an der Neuköllner Oper inszeniert. ‚Daddy unplugged‘ ist eine musikalische Zeitreise mit Songs, die vielleicht prägend waren für die fiktiven Väter und ihre Kinder, vielleicht sogar prägend sind für eine ganze Generation. Begleitet von Peer Neumann und Band und den 1000 Songs seines Vaters werden generalistisch die Fragen verhandelt, wer Väter sind und was sie sein sollten. Für das Gegenteil stehen die drei imaginären Patienten, die performativ-tänzerisch stets präsent sind auf der Bühne. Liedtkes Arbeit bleibt dabei erstaunlich flach. Als stereotype Abziehbilder fehlt Frieda, Maria und Hanno eine spannende Entwicklungskurve, die in ihren Figuren als Kinder doch so vielversprechend angelegt sind.

Lässt man sich nicht vom hervorragenden Gesang des Ensembles verführen und verwechselt Emotionalität und Ergriffenheit mit einem guten Theaterstück, wird man einen nett choreografierten Liederabend erleben, der wenig nachhallt. Lässt man sich auf das Eigene ein, antizipiert oder erinnert ganz ähnliche Momente, die Furcht und die Ungewissheit wie es wird und weitergeht, kann sich angerührt treiben lassen. ‚Daddy unplugged‘ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz ist ein sympathischer Theaterabend, der ganz gefällig Vieles parat hält. Und zum Schluss, wenn alle Stöpsel gezogen sind, wird die Bühne zum begehbaren Familienalbum.

  • Gesehen am 5. Oktober 2024
  • Und hier die Stimme von radio3.

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