Achtung, Theater! – ‚ja nichts ist okay‘ an der Volksbühne

Wenn Simon Strauß in der F.A.Z. vom 13. Februar urteilt, es sei ein unterhaltsamer Theaterabend, ist im Prinzip dem nichts hinzuzufügen. Fabian Hinrichs lebt in einer Wohngemeinschaft, die als kontemporäre Echokammer fungiert. Vier Figuren, alle von Hinrichs gespielt, stehen symbolhaft für die Themen der Zeit. René Pollesch und Fabian Hinrichs entschieden sich: Besser behaust in Brieselang, als unbehaust mittendrin im Nirgendwo.

AI-Kühlschränke geben unerbetene Ratschläge. Fiebrig flimmern Sequenzen aus Kriegsgebieten über Mattscheiben. Hinrichs im monologisierenden Dialog wettstreitend zwischen Claudia, Paul und Stefan, der Menschen eher nicht gut leiden kann. Nummer vier im Bunde: Der ein-, über- und ableitende Erzähler im schwarzen Gewand. Doch worum geht es? Es geht um nichts, was nicht bereits anderswo verhandelt wird, nämlich das Leben. Doch das Paar Hinrichs/Pollesch unternimmt dennoch den Versuch, das Hier und Heute zu fassen. Das Ergebnis ist ein tatsächlich ganz unterhaltsamer Theaterabend, der einen rat- und sprachlos mit wachsender Traurigkeit in die Welt entlässt.

ja nichts ist okay‘ an der Berliner Volksbühne ist ein sich verdunkelnder Klamottentanz. Hier den Pullover an, dort eine Brille ab, die Jacke aus. Der nächste Sprung in den Pool wartet auf mit großem, gutem Slapstick (obwohl Slapstick in der Regel die allerletzte Wahl ist). Whatever, denn Pollesch und Hinrichs blicken aus Fenstern, lauschen Gesprächen und entwickeln mit lapidarer Haltung ein sinnliches Kaleidoskop, das vor Weltschmerz die Publikumsgelächter im Halse ersticken lässt.

Widersteht man der Versuchung und lässt sich nicht blenden von Hinrichs erwartbar großer Leistung und Anna Viebrocks klugem wie lustigem Bühnenbild, ist ‚ja nichts ist okay‘ lediglich eine 80-minütige, wortreiche, aber sprachlos verblasste Strickjacke aus der zweiten Reihe. Das Theater gerade verlassen, fasst mein Freund den Abend wie folgt zusammen: „Den Dramatikern unserer Zeit gehen die Worte aus.“ Nach Polleschs ‚Mein Gott, Herr Pfarrer!‘ und ‚Fantômas‘ sowie ‚Bad Kingdom‘ von Falk Richter eine ernüchternde wie zutreffende Einschätzung.

„Vor 560 Millionen Jahren war das Leben noch gewaltfrei“, resümiert Hinrichs vor dem finalen Auftritt: Ein Statistenchor, der sich Hinrich nähert, ihn bedrängt, umringt, ihn niederringt und schließlich unter sich begräbt. Auferstanden mit bittersüßer Leichtigkeit ist der Schlussakkord von ‚ja nichts ist okay‘, so unfreiwillig wie grotesk, genau das, was bleiben wird von dem Autor, Dramatiker, Regisseur und Menschen René Pollesch. Reicht euch die Hände, ihr Menschenkinder. Hört euch an. Hört euch zu. Seid gemeinsam einander zugetan.

René Pollesch verstarb am 26. Februar. Du wirst sehr fehlen, auch mir.

  • Gesehen am 25. Februar 2024
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

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